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DIE FRAUEN DER DIKTATOREN

DIE FRAUEN DER DIKTATOREN

Titel: DIE FRAUEN DER DIKTATOREN Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diane Ducret
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– gleichwohl gefährliche – Operation. Und natürlich will Inessa an seiner Seite sein, um welchen Preis auch immer. Selbst wenn sie dafür wieder ins Gefängnis müsste. Bei ihrer Entlassung hatte sie zur Auflage bekommen, das Land nicht zu verlassen. Also versucht sie heimlich, nach Frankreich zu gelangen, um ihrem Geliebten zur Seite zu stehen. Sie geht über die Grenze nach Finnland, durchquert im Pferdeschlitten Schweden, um in Stockholm einen Zug zu nehmen. Wenige Tage später ist sie in Nizza. Doch Vlad wurde bereits operiert. Sein Zustand verschlechterte sich so rapide, dass die Ärzte eine Vergiftung annehmen, die zweifelsohne mit seinen revolutionären Aktivitäten zusammenhängt. Während Inessa ihm in seiner Qual beisteht, lässt sich kein Arzt blicken. Anfang Februar stirbt er in ihren Armen.
    Inessa ist erschüttert. Sie hat den Mann verloren, der sie für die Sache der Revolution begeistert hatte. Und so kehrt sie erneut zu ihrem Gatten Alexander zurück, der mittlerweile in der Industriestadt Roubaix lebt. Doch sie kann den Tod des Mannes, den sie liebte, nicht verwinden. Es ist ihr unmöglich, das Lager mit einem anderen zu teilen. Und so verlässt sie den Norden Frankreichs Richtung Paris. Sie will ihre Trauer allein tragen. An ihre Freundin Anna Aschkanasi schreibt sie: „Sein Tod war für mich ein unwiederbringlicher Verlust. Er war die ganze Freude meines Lebens. Und ohne innere Freude wird der Weg des Lebens schwer.“ [10] Tatsächlich ist das Leben in den Pariser Anfangstagen schwer für Inessa, doch von den Leiden der Einsamkeit sollte sie bald erlöst werden.
    In der Hauptstadt verkehrt Inessa Armand in den Cafés rund um die Avenue d’Orléans, wo sie sich dem Kreis der russischen Exilanten anschließt. Da sie ebenso gut Russisch wie Französisch spricht, ist sie ihnen bei der Wohnungs- beziehungsweise Arbeitssuche behilflich. Sie ist nicht gerade kontaktscheu, und so schließt sie rasch Bekanntschaft mit den bolschewistischen Zirkeln der Hauptstadt. In dieser für sie düsteren Zeit lernt sie den Mann von der Lena kennen.
    Das Mädchen aus dem Café des Manilleurs
    Eine Freundin nimmt sie eines Tages zu einer Versammlung im Hinterzimmer eines Cafés mit. Immer noch blass und traurig sitzt sie da und hört einem Mann zu, der eine unglaubliche Ausstrahlung hat. Darüber hinaus trägt er auch noch den Vornamen ihres verstorbenen Geliebten: Wladimir. Richtig beeindruckt ist sie aber zu diesem Zeitpunkt noch nicht von ihm. Der Mann steckt wie üblich in verknitterten Sachen, die ein bisschen schlottern an ihm. Er sieht aus wie ein wohlhabender Bauer, ein „kleiner, schlauer Muschik“ [11] . Er aber ist hingerissen von dieser Frau, die vier Jahre jünger ist als er. Lenin ist neununddreißig, als sie einander zum ersten Mal begegnen, Inessa fünfunddreißig. Die stets modische Inessa trägt einen schicken schwarzen Hut mit roter Feder. Unter der kaum zu bändigenden Masse ihres kastanienbraunen Haars blicken ihn riesige Augen an. Ihr sinnlicher, roter Mund krönt die sensiblen Züge. Die kluge Inessa mit ihrer raschen Auffassungsgabe strahlt ein Selbstvertrauen aus, das den Ideologen fasziniert. Er verabredet sich für den Abend mit ihr im Café des Manilleurs. In der folgenden Zeit sieht man die beiden oft zusammen. Aber wer ist die junge Frau, die so unvermittelt in den Kreisen der russischen Revolutionäre im 14. Arrondissement von Paris auftaucht und von ihrem Führer sofort mit Beschlag belegt wird?
    Ihre Mutter, eine Moskauerin englischer Herkunft, war mit Théodore Stéphane, einem Varieté-Schauspieler, nach Paris durchgebrannt: Er war Inessas Vater. Das erste der drei Kinder des Artistenpaares war in Frankreich zur Welt gekommen, drei Monate vor der Heirat ihrer Eltern. Ihr Vater trat damals im Théâtre de la Gaîté auf und führte ihre Mutter in das wilde Leben der Boheme ein. Das Paar trennt sich nach fünf Jahren wieder. Großmutter und Tante des Mädchens sind gerade zu Besuch in Paris und beschließen, der alleinerziehenden Mutter unter die Arme zu greifen und eines der Kinder nach Moskau mitzunehmen. Die Wahl fällt auf die kleine Inessa, die so nach Puschkino gelangt, einen ländlichen Ort in der Moskauer Umgebung. Die beiden Frauen kümmern sich hingebungsvoll um die Erziehung der Kleinen. Sie erhält Unterricht in Musik, Sprachen und Literatur. Der neue Haushalt kommt gut ohne männliche Präsenz aus: Die Großmutter sorgt für die Verwaltung des Landgutes, die Tante

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