DIE FRAUEN DER DIKTATOREN
erteilt Moskauer Kindern aus guter Familie Privatunterricht und sorgt so für ein regelmäßiges Einkommen. Für Inessa allerdings haben die beiden Damen ein anderes Leben geplant: Sie soll einmal eine gute Partie machen und ins wohlhabende Bürgertum einheiraten. Und so beschließen die beiden 1891 – Inessa ist gerade siebzehn Jahre alt –, das Mädchen zu einer Familie zu geben, für die Inessas Tante arbeitet: die Familie Armand.
Alexander, der Sohn der Familie, ist soeben von einem langen Auslandsaufenthalt zurückgekehrt. Die beiden haben sich schon kennengelernt, noch bevor Inessa ins Haus seiner Familie zieht. Als Kinder haben sie sogar zusammen gespielt. Alexander hat das Kind gemocht, doch die junge Frau, die er wiederfindet, bezaubert ihn geradezu. Schon bald sinnt er über Möglichkeiten nach, wie er sie dazu bringen könnte, mit ihm auszugehen. Doch die List, die er schließlich findet, zeugt nicht gerade von großem Einfallsreichtum: Brieflich bittet er sie um die Adresse eines gemeinsamen Freundes und fügt gleich eine Einladung zu seinem Geburtstag hinzu: „Sie müssen kommen! Wir erwarten Sie. Es werden viele junge Mädchen, aber nur fünf oder sechs junge Männer da sein.“
Da muss er sich schon etwas Besseres einfallen lassen. Inessa ist ein Wildfang. Sie verachtet die Männer. Als sie achtzehn ist, schreibt sie ihrem künftigen Gatten, was sie über das männliche Geschlecht denkt: „Sie glauben ja grundsätzlich, die Krone der Schöpfung zu sein und verachten die Frauen. Bester Beweis dafür ist ihre Achtung der weiblichen Schwäche. Dabei halten sie sich noch für edel, wenn sie das weibliche Geschlecht mit Freundlichkeit, falschem Respekt und unendlicher Geduld behandeln wie ein Kind.“ Schlussfolgerung der jungen Frau aus ihrem – bislang eher theoretischen – Kontakt mit der Männerwelt: „Die Frauen glauben alles, was man ihnen erzählt, und die Männer lügen, was das Zeug hält.“ Doch so leicht lässt Alexander sich dann auch wieder nicht ins Bockshorn jagen. Er weiß, dass Inessa Halt sucht. Hin- und hergerissen zwischen Auflehnung und Schuldgefühlen hat sie nie verstanden, warum man sie aus Frankreich weg ins ferne Russland schickte.
„Es stimmt: Ich habe kein vollkommenes Vertrauen zu Dir. Weil Du mich nicht kennst. Du kennst nur meine guten Seiten. Nicht die schlechten […] Und ich habe das Gefühl, wenn ich Dich enttäusche, ist es aus mit unserer Freundschaft. Das aber täte mir wirklich leid. Du siehst also: wenigstens bin ich offen zu Dir.“ [12]
Sie vertraut niemandem so recht. Das mag daran liegen, dass Inessa sich einmal mehr verraten fühlt, als ihre Mutter nach Moskau zieht. Doch die Wiedersehensfreude ist kurz, denn schon nach wenigen Monaten brennt sie mit einem neuen Geliebten, Charles Louis Joseph Faure, durch. Ihm gehört das Theater, in dem ihr Mann aufgetreten ist.
Aber Alexander überwindet die Mauern der Angst, die das junge Mädchen um sich errichtet, durch seine Beständigkeit. Inessa heiratet ihn 1893 in Puschkino. Und sie wird Mutter. Die Schrecken ihrer Kindheit scheinen ein für alle Mal gebannt. Denn das Leben an Alexanders Seite hat einiges an Annehmlichkeiten zu bieten: Sie hat Bedienstete, kann sich jedes Kleid kaufen, das sie sich wünscht. Alexander ist ein netter, aufmerksamer Ehemann, der seine Frau auch ins Ausland reisen lässt, wenn sie dies wünscht. Endlich hat sie ein Zuhause gefunden, die Verlässlichkeit, die sie sich immer wünschte … Alexander bietet ihr viel, nur den Kitzel der Gefahr nicht. Er ist ein geachtetes Mitglied der Gesellschaft, ein Leben als Revolutionär käme für ihn auch nicht im Entferntesten infrage.
Sein Bruder Vlad ist es, der mit der Revolution sympathisiert. Die Begegnung mit ihm wird ihr ganzes Leben verändern. 1902 lebt der junge Mann von siebzehn Jahren in der Wohnung der Familie im Moskauer Arbat-Viertel, das hauptsächlich von Künstlern und Intellektuellen bewohnt wird. Wie viele Moskauer Studenten organisiert auch Vlad Treffen in seiner Wohnung. Der schlanke, junge Mann mit dem dünnen Spitzbart ist so ruhig und ernsthaft, dass seine Freunde ihm eine „geradezu apostolische Einfachheit“ attestieren. Inessa, die zehn Jahre älter ist als er, nimmt häufig an den heimlichen Versammlungen teil. Sie lässt ihren Haushalt für Stunden im Stich, um mit „Vlady“ zusammen sein zu können. Häufig kehrt sie erst spät in der Nacht zurück. Ihr Mann ist verwirrt und zornig zugleich. Und doch
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