DIE FRAUEN DER DIKTATOREN
Casanova erwarten, sehen sie sich bald getäuscht. Sobald man ihn näher kennenlernt, offenbart Stalin eine Unmenge Komplexe: bezüglich seiner Familie, seines Aussehens, seines Charakters. Die Schwimmhäute, die er zwischen den Zehen hat, sind ihm so peinlich, dass er – als die Ärzte des Kremls ihn untersuchen – den Rest seines Körpers und sein Gesicht unter einer Decke versteckt. Er wird sich das Gesicht pudern, um die Pockennarben zu überdecken. Auf offiziellen Fotos trägt er immer Make-up. Da er schüchtern ist, zieht er sich nie in der Öffentlichkeit aus, nicht einmal im traditionellen russischen Dampfbad, der Banja. Dass ein Arm kürzer ist als der andere, geniert ihn ebenfalls. Später im Kreml wird ihn dies daran hindern, mit seinen weiblichen Gästen Slowfox zu tanzen. „Ich bin nicht fähig, eine Frau um die Taille zu fassen“, gesteht er einmal.
Doch Gardemaß ist schließlich nicht alles. Stalin ist sexuell gesehen recht wettbewerbsorientiert. Er spannt seinen Freunden die Frau aus, wann immer ihm der Sinn danach steht. Vor allem in der Zeit seiner Verbannung, wo Frauen ohnehin rar waren.
Doch die kurzen Momente der Zärtlichkeit beruhigen sein krankhaft misstrauisches Gemüt nicht. Frauen nehmen auf der Stufenleiter seiner Prioritäten die unterste Stelle ein, weit hinter der Revolution jedenfalls, aber auch hinter seinen egoistischen Bedürfnissen und den Saufabenden mit seinen Kumpanen. Seine offensive Männlichkeit paart sich mit einer fast viktorianischen Prüderie, und so nehmen sinnliche Erfahrungen in seinem Kosmos keinen besonderen Platz ein. Ein Epikuräer wird nie aus ihm, er lässt sich auch kaum über seine sexuellen Eroberungen aus.
Starke und intelligente Frauen wie seine Mutter flößen ihm kein Vertrauen ein. Tatsächlich ist Stalin nur von seiner Mutter aufgezogen worden, einer nüchternen, frommen Frau, die ihren Sohn im Geiste der orthodoxen Kirche erzog. Sein Vater, ein Maurer und Trunkenbold, war stets von Baustelle zu Baustelle unterwegs und gehörte nie wirklich zur Familie. Der gewalttätige Mann, der stets auf der Suche nach Einkommensquellen war, wollte den Jungen schon zum Bau schicken, als dieser noch keine zehn Jahre alt war. Seine Mutter aber verehrte den kleinen Iossif und wollte ihm unbedingt eine bessere Erziehung zuteilwerden lassen. Daher steckte sie ihn gegen den Willen des Vaters ins Priesterseminar in Gori. Stalin war ihr zeit seines Lebens sehr dankbar und bewunderte ihre Selbstaufopferung und ihre praktische Intelligenz. Doch da er wusste, wie unnachgiebig dieser Typus Frau werden kann, zog er stets junge Frauen vor, die noch formbar waren, oder dralle Bäuerinnen, die vor ihm einen Heidenrespekt hatten.
Auch intellektuelle Frauen mochte er nicht, Frauen mit hochfliegenden Ideen. Überhaupt konnte er es nicht leiden, wenn sie sich herausputzten, wie dies beispielsweise die Plechanow-Tochter tat, die hohe Absätze trug. Er verachtete ihre Koketterie zutiefst. Sein Instinkt befahl ihm, mit Plechanow zu brechen, denn ein Mann, der seine Kinder zu solchen Snobs erzog, konnte kein echter Revolutionär sein.
Die fröhliche Selbstmörderin
„Du bist ein Folterknecht, jawohl, das bist du“ [10] , schimpfte Nadja völlig aufgebracht. Stalin hat sich ins Badezimmer geflüchtet und die Tür verriegelt. Solche Szenen kommen im schwierigen Jahr 1932 immer wieder vor: „Du folterst deinen eigenen Sohn, du quälst deine Frau … du peinigst das ganze russische Volk“, warf sie ihm im Beisein von Abel Jenukidse vor, seinem Freund und Minister für Erziehung. Nadja steht am Rande des Nervenzusammenbruchs. Sie erträgt das Leben mit Iossif nicht mehr länger. Sie teilt seine Leidenschaft für die Revolution nur bedingt.
„Und deine Kinder?“
„Es sind deine Kinder!“, brüllt er zurück.
Sie läuft davon und sperrt sich in ihrem Zimmer ein, dem einzigen Raum, wo sie sich – hier im feindseligen Kreml – nicht bedroht fühlt.
Der Verführer Stalin ist krankhaft eifersüchtig, mit ihm zusammen zu sein ist die Hölle. Täglich hat er Eifersuchtsanfälle, sieht sich von allen betrogen. Scharwenzelt nicht sein alter Freund Bucharin ein wenig zu interessiert um Nadja herum? Bucharin, der sie in der Datscha in Sotschi besucht hat, ist mit ihr im Garten spazieren gegangen. Stalin überrascht die beiden. Er zuckt zusammen und brüllt Bucharin an: „Ich werde dich umbringen!“ Da er Stalin so gut kennt, hält Bucharin dies für einen Scherz. Als er später
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