Die Frauen des Journalisten (German Edition)
sich, langsam, kaum wahrnehmbar. Sie zog sich zurück, wirkte oft wie in sich gekehrt. Früher war sie gern ausgegangen, jetzt lehnte sie Einladungen fast immer ab. Es war, als fehle ihr der innere Antrieb. Sie ging zur Arbeit und war doch irgendwie teilnahmslos. Kaum jemand sah sie lachen.
Nur einer Kollegin, die eng mit Irene zusammen arbeitete, fielen die Veränderungen auf. Sie begann sich Gedanken darüber zu machen. Die Kollegin war um einiges älter als Irene und hatte schon großen Anteil an ihrem Unfall genommen. Besorgt versuchte sie mit Irene zu reden, fand aber nicht den gleichen Zugang zu ihr wie früher. Nach einer Weile konnte sie das sichtbare Verwelken ihrer Kollegin nicht mehr ertragen. Deshalb dachte sie daran, sich mit Irenes Mann zu treffen. Kurz entschlossen rief sie eines Tages in der Redaktion an. Sie bat Wortmann um eine Unterredung, benannte bei ihrem Telefongespräch auch genau worum es ihr ging. Wortmann tat erstaunt, willigte aber ein sich mit ihr zu treffen. Sie verabredeten sich für die kommende Woche in einem ruhigen kleinen Café.
Irenes Kollegin kannte Wortmann von Fotos aus der Zeitung, deshalb war sie etwas später am Treffpunkt. Zielsicher betrat sie also das kleine Café und kam direkt auf ihn zu.
„Guten Tag, Herr Wortmann. Ich bin Frau Martin, die Kollegin ihrer Frau.“, begrüßte sie ihn freundlich.
„Guten Tag! Bitte, nehmen Sie Platz.“, er deutete auf einen Stuhl. Er sah, dass sie deutlich älter war als er. Ihr Gesicht war angenehm, mit hellen Augen und weichen Zügen. Sie strahlte eine gewisse Ruhe und Gelassenheit aus. Was sie nun aber sagte, stand ganz im Gegensatz zu dem Eindruck, den sie auf ihn gemacht hatte. Frau Martin kam sofort zum Punkt ihres Treffens.
„Eigentlich müsste ich mich wundern, Herr Wortmann, dass Sie nicht selbst darauf kommen. Man kann doch sehen, dass mit Ihrer Frau nicht alles in Ordnung ist. Und nicht erst seit meinem Anruf bei Ihnen.Wo haben Sie denn Ihre Augen? Oder wollen Sie nicht sehen?, eröffnete sie in bestimmendem Ton das Gespräch.
Wortmann sah sie fragend an und hatte Mühe eine passende Antwort zu finden.
„Mir ist bisher nichts Besonderes an Irene aufgefallen. Sie ist oft müde, aber sonst...“
„Auch diese ständige Müdigkeit ist kein gutes Zeichen. Irene muss zu einem Arzt. Ich habe versucht mit ihr zu reden, leider blockt sie alles ab. Ich finde keinen Zugang zu ihr so wie früher. Es müsste ein Arzt sein, der sich in psychischen Problemen auskennt.“
„Einen Psychiater?“, fragte er dazwischen.
„Wie man das genau nennt, weiß ich nicht. Man nennt das, was Irene hat, wohl Depressionen. Wenn es so ist, braucht sie dringend Hilfe. Gehen Sie doch einfach mal zu Ihrem Hausarzt, fragen Sie da mal nach. Erzählen Sie dem Arzt von meinen Beobachtungen.“
Frau Martin sah, dass Wortmann unsicher war, nicht wusste was er antworten sollte. Sie war seltsam berührt, er war doch der Ehemann.
Dieses Gefühl der Unsicherheit, das Frau Martin bemerkt hatte, war für ihn neu. Er konnte damit nicht umgehen. Er konnte nicht mehr reagieren. Sein Inneres zog sich zurück, er starrte in sein Glas. Dann plötzlich, abrupt, sah er die Frau an.
„Ich danke Ihnen für Ihre Offenheit. Ich werde tun, was ich kann. Vielen Dank, ich werde jetzt gehen. Auf Wiedersehen.“
Dabei war er aufgestanden, schob seinen Stuhl unter den Tisch, ging zum Buffet. Dort sprach er mit der Bedienung, deutete auf seinen Tisch. Dann gab er der Buffetdame einen Geldschein und verließ sofort das Café. Etwas verstört sah Frau Martin ihm nach. Sie hätte sich schon eine andere Reaktion gewünscht. Was ging in ihm vor? Konnte er kein Verständnis aufbringen oder wollte er es nur nicht zeigen? Sie winkte die Serviererin heran, wollte bezahlen.
„Der Herr hat alles bezahlt.“, erhielt sie zur Antwort. Auch gut, dachte sie und ging.
Irene litt tatsächlich unter Depressionen. Ihr behandelnder Arzt verschrieb ihr Medikamente. Sie konnte nun wieder schlafen, war jetzt aber tagsüber oft teilnahmslos und gleichgültig. Oft vergaß sie sogar wichtige Angelegenheiten. Wortmann machte sich weiter keine Gedanken. Irene wurde doch jetzt von einem erfahrenen Arzt betreut. Es würde also alles gut werden.
Die Zeit verging in den gewohnten Bahnen. Gelegentlich nachts, wenn er nicht einschlafen konnte drängte sich ihm eine Frage auf; welchen Sinn hatte seine Ehe eigentlich? So, wie er jetzt lebte, konnte er auch allein leben. Sie
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