Die Frauen des Journalisten (German Edition)
führten keine Ehe, sie lebten zusammen in einer Wohnung. Oder anders gesagt, sie schliefen nebeneinander in einer Wohnung, denn tagsüber sahen sie sich so gut wie nie. Schon längst vermied er es früh Feierabend zu machen. In der Redaktion gab es genug Arbeit, die ihn ausfüllte. Es gab nichts, worüber er mit Irene hätte reden wollen, sie verstand ihn sowieso nicht. Er kaufte ein, weil Irene ständig etwas mitbrachte, was nicht gebraucht wurde, oder sie vergaß das, was fehlte.
In der Vergangenheit war ihm das Einkaufen schon längst zur Gewohnheit geworden. Während ihrer Schwangerschaft, als sie nicht schwer tragen sollte und nach dem Unfall, hatte er schnell gelernt wie Einkäufe erledigt werden, sogar wenn es sich dabei um Waren handelte, die nicht immer in den Regalen standen. Die Waschmaschine bediente er ebenfalls, selbst kochen konnte er. Es machte ihm sogar Spaß und außerdem schmeckte das Essen besser, als wenn es von seiner Frau zubereitete wurde. Worin lag also der Sinn ihrer Ehe? Liebe?
Von Anfang an war da nicht viel gewesen. Im Laufe der Zeit war sie auch nicht gewachsen. Pflichterfüllung, das war das einzige Wort, welches ihm einfiel. Aber welche Pflicht hatte er zu erfüllen und wenn, galt das nicht für beide Ehepartner? Irene war kaum in der Lage Pflichten zu erfüllen, die der Ehe genutzt hätten. Er fühlte sich immer mehr als Opfer. Muße er das ertragen? Immer wieder diese eine Frage, musste er sein Leben opfern? Er war jung, gesund und nicht Schuld an dem was geschehen war. Er hatte diese Ehe nicht geplant, nicht gewollt. Er hatte ein Recht auf ein anderes, ein erfülltes Leben. Ein Recht darauf, sein Leben nach seinen Vorstellungen zu gestalten.
So reifte allmählich der Gedanke sich von Irene scheiden zu lassen. Eines Tages dann kam er zu einem Entschluss Er teilte seiner Frau mit, dass er die Ehe beenden würde. Einfach so, es war kein besonderer Tag, kein besonderer Anlass lag vor. Die Situation ähnelte fast der, als er damals seine Heiratsabsicht vorgetragen hatte. Nur, diesmal sah man in Irenes Gesicht keine Tränen, sie wirkte teilnahmslos. Ihr Gesicht blieb regungslos, keine Frage, nichts. Es war so, als habe sie diese Entscheidung längst erwartet.
***
Für Mitte April hatte Karin Sander in einem Randbezirk von Leipzig unweit der neuen Messe ein Hotelzimmer gebucht. Das Hotel war nicht sehr groß, alles war neu und angenehm. Es wurde familiär geführt, Lienhardt konnte sich also dort wohlfühlen. Obwohl es an einer Bundesstraße lag, hielt sich der Verkehr in Grenzen. Das lag wohl daran, dass eine ehemalige Auffahrt zur nahe gelegenen Autobahn inzwischen verlegt worden war. Trotzdem gelangte man über diese Straße schnell und fast direkt ins Leipziger Zentrum und die neue Autobahnanbindung lag ebenfalls in der Nähe.
Paul Lienhardt checkte am späten Nachmittag ein. An seinem Zimmer gab es nichts auszusetzen. Er schaute kurze Zeit nach seiner Ankunft in das Restaurant, ließ sich einen Kaffee bringen und entschloss sich dann der Stadt einen ersten Besuch abzustatten. Er sprang unter die Dusche, zog ein frisches Hemd an und verließ wenig später wieder das Hotel. Mit seinem Auto fand er problemlos einen Parkplatz nahe genug am Zentrum.
Röder, der Leipzig liebte wie sein zweites Zuhause, hatte ihm etliche Tipps mitgegeben, wie er eventuell anfallende Freizeit in Leipzig verbringen konnte. Aber er war auch selbst neugierig auf die Stadt, über die er in der Zeit der politischen „Wende“ so viel im Fernsehen gesehen hatte. Er ließ sich vom Parkplatzwächter kurz erklären wo er sich befand.
„Wenn Sie ein wenig Zeit haben, können Sie das Leipziger Zentrum von hier aus gut zu Fuß erkunden. Sie hätten nur früher ankommen müssen. Na ja – fangen Sie einfach am Bahnhof an und wenn Sie zum rechten Ausgang herauskommen, dann immer gerade aus. Da links hinter dem großen Gebäude liegt der Hauptbahnhof. Schönen Abend.“
„Danke, was ich heute nicht sehen kann, dann vielleicht morgen. Also, bis dann.“
Lienhardt machte sich auf den Weg. Eigentlich, dachte er, als er aus dem Bahnhof trat und eine der Ringstraßen vor ihm lag, damals, als die Demonstrationen im Fernsehen gezeigt wurden, sah alles größer aus. Vermutlich hatte das an der Dunkelheit und der Straßenbeleuchtung
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