Die Frauen, die er kannte: Ein Fall für Sebastian Bergman (German Edition)
hinterher, wenn sie in der Stadt unterwegs ist, du folgst ihr, wenn sie zur Arbeit fährt oder zu ihren Eltern. Wie soll man das bitte nennen? Wie würdest du es nennen?»
«Ich interessiere mich für sie. Nichts weiter.»
Stefan seufzte und lehnte sich gegen die weiche helle Sessellehne.
«Erinnerst du dich noch an unser Gespräch über den Vorfall mit dem Baum?»
Sebastian antwortete nicht.
«Du warst ein wenig über dich selbst erschrocken, weißt du noch? Du sagtest, dass es verrückt war.» Stefan machte eine kleine Kunstpause und fixierte Sebastian erneut. «Ich meine, du hättest sogar das Wort ‹krank› verwendet …»
Sebastian antwortete noch immer nicht, glotzte nur stumpf zurück. Er hatte nicht vor, seinem Therapeuten etwas zu schenken.
«Wie würdest du es denn nennen, dass du sie im Prinzip in jeder freien Sekunde verfolgst?»
«Sie ist meine Tochter», versuchte Sebastian sich zu verteidigen. «Ich muss das tun. Ich kann sie nicht loslassen.» Er wusste, wie dürftig das in Stefans Ohren klingen musste, und war froh, dass er ihm nicht von Trolle erzählt hatte.
Stefan schüttelte den Kopf und sah einige Sekunden lang aus dem Fenster, vor allem um zu unterstreichen, wie leid er diese Diskussion allmählich war. Was er auch versuchte, sie kehrten immer wieder zu diesem einen, schmerzlichen Punkt zurück. Vanja. Die Tochter, die Sebastian plötzlich gefunden hatte. Die nichts davon wusste und es vermutlich auch nie erfahren würde. Oder vielleicht doch? Gab es eine Chance? Das war die Hoffnung, die Frage, zu der Sebastian früher oder später immer wieder zurückkehrte. Der Punkt, an dem er nicht vorbeikam. Sein innerer Zwiespalt.
Stefan konnte Sebastians Problem wirklich verstehen. Denn hier trafen zwei Probleme aufeinander. Der Wille, der Wunsch und das Verlangen auf der einen Seite kollidierten mit der Wirklichkeit auf der anderen. Scheinbar unvereinbar. An solchen Punkten ergaben sich die Fragen, die sich am schwersten beantworten ließen. Stefan stieß bei seiner Arbeit eigentlich ständig darauf. Denn in genau diesen Momenten suchten ihn die Patienten auf. Wenn sie selbst keine Antworten mehr fanden. Das war menschlich und kein bisschen merkwürdig. Merkwürdig an dieser Situation war nur, dass ausgerechnet Sebastian Bergman vor ihm saß. Ein Mann, dessen Lebensmotto es stets gewesen war, immer alle Antworten zu kennen und niemals zu zweifeln. Ein Mann, dem Stefan nie zugetraut hätte, dass er eines Tages seine Hilfe in Anspruch nehmen würde.
Sebastian war Stefans Dozent an der Uni gewesen. Alle Kommilitonen hatten einen gewissen Widerwillen gegen seine Vorlesungen gehabt. Dabei waren sie im Grunde denkwürdig gewesen, aber Sebastian hatte allen Studenten bereits am ersten Tag deutlich gemacht, wer der unangefochtene Stern am Universitätshimmel war. Und er hatte nicht vorgehabt, seinen Glanz mit jemand anderem zu teilen. Wenn ein Student dennoch versuchte, Sebastians Ausführungen in Frage zu stellen, oder dessen Thesen und Theorien kritisch diskutierte, wurde er gedemütigt und verhöhnt. Nicht nur für den Rest der Vorlesung, sondern für den Rest des Semesters und den Rest seines gesamten Studiums. Deshalb folgte auf Sebastians «irgendwelche Fragen?» stets nur bleierne Stille.
Stefan Larsen bildete die einzige Ausnahme. Er war ausreichend vorbereitet, um es mit Sebastian aufnehmen zu können. Als jüngster Spross einer Familie von Vollblutakademikern hatten ihn die Abendessen zu Hause in Lund für den verbalen Kampf gerüstet, und er hatte die Auseinandersetzung mit dem hochintelligenten und zugleich so unmöglichen Mann gesucht, den viele andere fürchteten. Obendrein erinnerte Sebastian ihn an seinen älteren Bruder Ernst, der ein genauso starkes Geltungsbedürfnis hatte und im Kampf darum, wer recht bekam, immer wieder Grenzen überschritt. Denn das war das Wichtigste, für Ernst wie für Sebastian: recht zu bekommen. Nicht recht zu haben. Diese Eigenschaft machte die beiden zu einer intellektuellen Herausforderung, wie sie Stefan perfekt passte. Er gab ihnen den Widerstand, den sie brauchten, aber er überließ ihnen nie den endgültigen Sieg. Stattdessen kam er irgendwann mit der nächsten Fragestellung und dann noch einer und wieder einer. Sie wollten die entscheidende Schlacht führen und wurden stattdessen in einen langen, zermürbenden Krieg verwickelt. Das war die einzige Möglichkeit, sie zu bezwingen. Zermürbung.
Eines Morgens vor fast zwei Jahren hatte Sebastian
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