Die Frauen, die er kannte: Ein Fall für Sebastian Bergman (German Edition)
für mich unerhört bekannt und unerhört langweilig.» Zu seiner Freude war seine Stimme wieder voll da. «Und du musst unerhört dumm sein, wenn du glaubst, ich würde bei so einer Veranstaltung auftauchen.»
«Ich möchte aber, dass du kommst.»
«Nein!»
Sebastian stand auf, um zu unterstreichen, dass die Sitzung nun vorbei war und er keine Lust auf weitere Diskussionen hatte.
«Ich bestehe darauf, dass du kommst.»
«Mag sein, aber die Antwort lautet immer noch nein.»
Sebastian ging zur Tür. Wut war etwas Wunderbares. Sie gab ihm Brennstoff. Glaubte Stefan wirklich, dass er Sebastian in einer schniefenden, schluchzenden Selbsthilfegruppe zu Gesicht bekäme?
Keine Chance.
Nie und nimmer.
Sebastian schloss die Tür hinter sich. Die Energie beflügelte ihn, und das wiederum freute ihn. Vielleicht würde er heute doch noch irgendetwas zustande bringen.
Es war ein ungewohntes Gefühl.
Sebastian war es gelungen, den gesamten Weg nach Frescati zurückzulegen, ehe die beschwingende Irritation verflog. Er wollte Stefan beweisen, dass er sich ein neues Leben zulegen konnte, aber nun übermannte ihn die Müdigkeit erneut.
Dabei war ihm die Idee eigentlich schon vor ein paar Tagen gekommen, als er zu Hause ein ordentliches Skript für eine dreistündige Vorlesung zum Thema «Einführung in das Erstellen von Täterprofilen» gefunden hatte. Es hatte ganz unten in einem Stapel mit Zeitungen und anderen Papieren im Arbeitszimmer gelegen, einem Raum, den er nie nutzte, aber den er nun in einem Anfall von Beschäftigungslosigkeit und Verzweiflung entrümpeln wollte. Er konnte sich nicht erinnern, wann er den Text geschrieben hatte, aber es war ganz eindeutig vor der Katastrophe gewesen, da er fast völlig frei war von jenem beängstigenden Zynismus, der mittlerweile allen seinen Gedankengängen anhaftete. Sebastian las ihn zweimal im Schnellverfahren und war ein wenig von sich selbst beeindruckt. Er hatte einmal wirklich gut schreiben können.
Scharfsinnig, sachkundig und fesselnd.
Eine Weile war er mit dem Dokument in der Hand an seinem Schreibtisch sitzen geblieben. Er hatte das merkwürdige, fast surreale Gefühl gehabt, einer besseren Version seiner selbst begegnet zu sein. Nach einiger Zeit blickte er sich im Zimmer um und fand plötzlich überall Hinweise auf diesen besseren Sebastian. Die Diplome an der Wand, die Bücher, die Zeitungsartikel, die Aufzeichnungen, die er einst gemacht, die Worte, die er geschrieben hatte. Sein Arbeitszimmer war voll mit Treibgut aus einem anderen Leben. Um die Erinnerungen loszuwerden, war er ans Fenster getreten. Hatte auf die Straße gesehen, um seine Eindrücke wieder auf null zu stellen, aber die Reste seines alten Lebens waren mit einem Mal überall, denn nun fiel ihm ein, dass er dort unten immer sein Auto geparkt hatte, gegenüber dem Antiquitätenladen. Vor langer, langer Zeit, als er noch sowohl ein Auto gehabt hatte als auch Ziele, zu denen er fahren wollte.
Als er nun nach dem Gespräch mit Stefan nach Hause kam, war er guter Dinge, fühlte sich geradezu inspiriert. Er ging in sein Arbeitszimmer und blätterte in Papierstapeln. Er suchte nach einem Vertrag oder einem Namen. Irgendjemand musste doch damals eine dreistündige Vorlesung bei ihm bestellt haben. Nach einer Weile fand er zwei Kopien eines Vertragsentwurfs vom kriminologischen Institut. Er war auf den 7. März 2001 datiert und enthielt eine Vereinbarung über insgesamt drei Vorlesungen zum Thema «Einführung in das Erstellen von Täterprofilen». Sebastian versuchte sich zu entsinnen, warum er die Vorlesung nie gehalten hatte. 2001 war er ganz oben gewesen. Sabine war geboren, und er lebte mit Lily in Köln, also hatte er vermutlich einfach Besseres zu tun gehabt. Und darauf gepfiffen. Der Vertrag war seinerseits nicht unterschrieben, aber die andere Seite hatte einen Namen, eine Universitätsdozentin namens Veronika Fors. Der Name sagte ihm nichts. Seminarleiterin. Er rief das Institut an und fragte auf gut Glück nach ihr. Obwohl viele Jahre vergangen waren, seit sie den Vertrag geschickt hatte, arbeitete sie noch dort. Die Zentrale wollte ihn direkt weiterverbinden, aber er legte auf, noch bevor die Frau, deren Name auf dem Vertrag stand, drangehen konnte. Dann setzte er sich wieder mit seinem Text in der Hand an den Tisch. Auf jeden Fall war sie noch dort.
Einige hundert Meter entfernt von dem Gebäude, in dem das kriminologische Institut lag, blieb er stehen. Irgendein Visionär hatte es
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