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Die Frauen, die er kannte: Ein Fall für Sebastian Bergman (German Edition)

Die Frauen, die er kannte: Ein Fall für Sebastian Bergman (German Edition)

Titel: Die Frauen, die er kannte: Ein Fall für Sebastian Bergman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Hjorth , Hans Rosenfeldt
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Taschenlampen zu kontrollieren. Beide funktionierten. Jetzt blieb nur noch das Schlafzimmer. Die Deckenlampe und die Leselampe, dann die Taschenlampe auf dem Nachttisch.
    Nun brannte überall Licht. Nicht dass es nötig gewesen wäre. Das Sonnenlicht strömte durch alle Fenster der Wohnung herein. Es gab nichts, was es dämpfte oder hinderte. Keine Rollläden außen, keine Gardinen innen. Als er eingezogen war, hatte der große Mann als allererstes die Jalousien entfernt. Nein, heute war das elektrische Licht nicht nötig. Aber es gehörte zum Ritual. Folgte man dem auch, wenn es nicht nötig war, brauchte man nie zu befürchten, dass man es vergaß, wenn es wichtig war.
    Vor vielen Jahren hatte es in seinem damaligen Wohngebiet einmal einen Stromausfall gegeben. Es war dunkel geworden, nicht nur bei ihm zu Hause, sondern überall. Pechschwarze Finsternis. Er hatte sofort zur nächsten Taschenlampe gegriffen, doch entweder waren die Batterien leer, oder die Glühbirne war defekt. Er hatte sie schon lange nicht mehr kontrolliert. Das war vor dem Ritual gewesen. In diesem Moment war er von einer solchen Panik, einer solch lähmenden Angst ergriffen worden, dass er sich hatte erbrechen müssen und mehrere Stunde reglos auf dem Fußboden lag, bis der Strom wiederkam.
    Eigentlich mochte er den Sommer. Nicht unbedingt die Wärme, aber das Licht. Am besten war die Zeit um Mittsommer, aber es war das Licht, das ihm gefiel, nicht der Feiertag. Feiertage mochte er grundsätzlich nicht. Und Mittsommer war ihm besonders verhasst.
    Denn es war an einem Mittsommerabend gewesen, als er zum ersten Mal gespürt hatte, dass mit ihm etwas nicht stimmte.
    Dass er nicht wie alle anderen war.
    Damals war er drei oder vier Jahre alt gewesen. Sie waren mit dem Auto zu einem Fest auf der großen Wiese beim See gefahren. Die Stange war bereits aufgestellt, als sie kamen. Der Andrang war groß, und schließlich mussten sie mit ihren Decken und ihrem Picknickkorb ziemlich weit vom eigentlichen Festplatz entfernt sitzen. Ab und zu wehte der Wind einige Fetzen der Spielmannsmusik zu ihnen herüber, als sie so dasaßen, mit ihren Sandwiches, ihrer Erdbeertorte und dem Weißwein für Papa und Mama. Der Tanz begann um drei. Viele Menschen machten mit, es waren vier oder fünf Ringe mit Tanzenden, die sich an den Händen hielten. Er liebte es zu tanzen. «Die kleine Krähe des Pfarrers» und «Jetzt gehen wir um einen Wacholderbusch» waren seine Lieblingslieder. Die Bewegungen waren so lustig.
    Vielleicht hatte es schon früher begonnen, aber daran hatte er keine Erinnerungen. Das erste Mal geschah es dort. An Mittsommer. Bei Sonnenschein, im zweiten Ring von außen, als sie mit ihm tanzte. Seine kleine Hand in ihrer Hand. Er erinnerte sich, dass er glücklich gewesen war und zu ihr aufgesehen hatte. Doch sie fixierte einen Punkt in der Ferne, während sie tanzte. Geistesabwesend. Sie sang nicht, sie lächelte nicht. Ihr Körper führte die Tanzbewegungen wie automatisch aus. Ganz ohne Gefühl. Gleichgültig. Er erschrak ein wenig ängstlich und zerrte an ihrer Hand. Sie sah zu ihm hinab und lächelte im selben Moment, als sich ihre Blicke trafen, aber das Lächeln erreichte ihre Augen nicht. Es war mechanisch, eingeübt, als solle es ihm versichern, dass alles in Ordnung sei. Aber das war es nicht. Nicht an diesem Nachmittag, und später erst recht nicht.
    «Mama geht es gerade nicht so gut.» Das sagte sie zu ihm, wenn er nicht auf ihren Schoß klettern sollte oder wenn sie mitten am Tag bei geschlossenen Gardinen im Schlafzimmer lag. Wenn sie mit angezogenen Beinen auf dem Boden saß und ihr Kinn auf die Knie legte und weinte und weinte, wenn Papa ihn aus dem Kindergarten abholen musste, weil sie einfach nicht aufgetaucht war. Sie sagte es an jenen Tagen, an denen sie keine Lust hatte, für ihn zu kochen. Oder kurz bevor sie die Tür hinter sich zuschlug und ihn stundenlang allein ließ.
    «Mama geht es gerade nicht so gut.» Das sagte Papa, wenn er wieder einmal «Pst!» machte und ihm zu erklären versuchte, warum er in der Wohnung immer weiche Hausschuhe tragen musste und weder traurig oder unruhig noch wütend sein durfte. Als Begründung dafür, dass er gezwungen war, stundenlang ruhig, ja nahezu unsichtbar dazusitzen, wenn Mama doch einmal das Bett verließ. Oder als Erklärung dafür, weshalb sie nie etwas zusammen unternahmen und warum er als Sohn gezwungen war, brav zu sein und sich um Mama zu kümmern, während Papa Geld verdienen

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