Die Frauen, die er kannte: Ein Fall für Sebastian Bergman (German Edition)
lange, dass die Boulevardzeitungen neue Wörter erfinden mussten. «Rekordhitze» oder «Supersommer» reichten nicht mehr aus. «Hitzehölle» und «Infernosommer» waren nur einige der Neuschöpfungen der letzten Woche. Man konnte sie in Meldungen darüber lesen, dass einige Personen aufgrund von Dehydrierung ins Krankenhaus eingeliefert werden mussten und Hunde in geparkten Autos verendet waren.
An seiner Tür hingen Blumen. Ein Strauß in grauem Papier mit einem Zettel, der mit Tesafilm befestigt war. Sebastian riss ihn ab, nahm die Blumen, schloss die Tür auf und ging hinein. Während er aus den Schuhen schlüpfte, ohne die Schnürsenkel aufzuknoten, las er den Zettel, auf dem nur Sachen standen, die er ohnehin schon wusste oder begriffen hatte. Dass jemand ihm Blumen geschickt hatte und er nicht da gewesen war, um sie entgegenzunehmen, weshalb man sie an der Tür hinterlassen hatte. Sebastian ging in die Küche und entfernte das Papier. Rosen. Vielleicht ein Dutzend. Rote. Sicherlich teure. An den Stielen war ein weiteres Kärtchen befestigt. Offensichtlich wollte man ihm zu irgendetwas gratulieren. Das war auch alles, was darauf stand: «Gratulation!» In zierlichen Buchstaben. Und darunter ein Name: Ellinor.
Die Händchenhalterin.
Er wusste, dass das Frühstück ein Fehler gewesen war. Hatte es damals schon gewusst, und dies war nun die Bestätigung. Er warf die Blumen in die Spüle, nahm ein Glas aus dem Küchenschrank und füllte es mit Wasser, trank es in gierigen Zügen und füllte es erneut. Dann verließ er die Küche. Einen kurzen Moment grübelte er, zu was sie ihm eigentlich gratulierte, entschied sich dann aber, sich nicht weiter darum zu kümmern.
In seiner Wohnung war es nur unwesentlich kühler als draußen. Es roch muffig. Staubig. Er überlegte kurz, das Fenster zu öffnen, begriff jedoch, dass es keinen Unterschied machen würde. Stattdessen zog er alles aus, was er am Leib hatte, und warf die Sachen auf das ungemachte Bett im Gästezimmer. Eigentlich musste er dringend ein bis zwei Ladungen Wäsche waschen, entschied dann aber, sich auch darum nicht zu kümmern.
Ihm fiel auf, wie still es im Haus war. Kein Rauschen in den Rohren oder Toilettenspülungen, kein Kindergeschrei aus der Wohnung über ihm, keine Schritte im Treppenhaus. Das Haus wirkte verlassen. Was es wohl auch war, die Mehrzahl seiner Nachbarn war verreist. Er vermisste sie zwar nicht, die meisten von ihnen kannte er nicht einmal mit Namen. Konsequent mied er alle Eigentümerversammlungen, Putztage und Hoffeste. Sogar die Kinder aus seinem Haus klingelten inzwischen glücklicherweise nicht mehr bei ihm, um ihm ihre Weihnachtszeitungen, Maiblumen oder irgendwelchen anderen Dreck anzudrehen. Aber es war still. Zu still.
Sein Besuch bei Stefan hatte nicht den gewünschten Effekt gehabt. Er war als Sieger zu ihm gegangen, mit dem Gefühl, gewonnen zu haben. Er hatte Stefan ein für alle Mal zeigen wollen, wer die Agenda ihrer Begegnungen bestimmte. Ihm verdeutlichen, dass er mit Konsequenzen zu rechnen hatte, wenn er auf einmal meinte, die Initiative ergreifen zu müssen, wie beispielsweise diese bescheuerte Gruppentherapie von ihm zu verlangen. Er hatte sich auf einen erfrischenden Kampf eingestellt. Stattdessen hatte Stefan fast resigniert gewirkt. Es war äußerst unbefriedigend gewesen.
Sebastian ging ins Gästezimmer und schaltete den Fernseher ein, der an der Wand am Fußende des Bettes hing. Gerade wollte er sich auf das ungemachte Bett legen, als es klingelte. Zunächst stutzte er angesichts des unbekannten Tons. Sein Festnetztelefon. Das musste Trolle sein. Erst wollte er es klingeln lassen, dann kitzelte ihn die Neugier. Vielleicht hatte Trolle etwas herausgefunden. Etwas Reißerisches. Er ging in die Küche. Das konnte lustig werden. Er nahm den Hörer ab.
«Ja?»
«Hast du die Blumen bekommen?»
Sebastian schloss die Augen. Nicht Trolle. Ganz und gar nicht Trolle. Eine Frauenstimme. Nicht lustig.
«Wer ist da?»
«Ellinor Bergkvist.»
«Bitte wer?», presste er in angestrengt ahnungslosem Tonfall hervor. Natürlich wusste er sofort, wer sie war. Aber er hatte keine Lust, sie auch nur im Geringsten zu ermuntern.
«Ellinor Bergkvist. Wir haben uns bei einem Vortrag über Jussi Björling kennengelernt, und anschließend bist du mit zu mir gekommen.»
«Ach so, ja, stimmt», antwortete Sebastian, als wäre ihm gerade erst ein Gesicht zu dem Namen eingefallen.
«Du wusstest genau, wer ich bin, als ich meinen
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