Die Frauen, die er kannte: Ein Fall für Sebastian Bergman (German Edition)
daran. Ich habe andere Patienten, die bedeutend mehr Geduld erfordern», sagte Stefan vieldeutig.
Sebastian ließ den ironischen Hinweis unbeantwortet, denn gleich würde er ohnehin ein viel schwereres Geschütz auffahren können: «Jedenfalls werde ich heute Abend nicht kommen.»
«Ich finde, du solltest der Sache noch eine Chance geben.»
«Das finde ich nicht. Weißt du …» Sebastian verstummte. Eine Kunstpause. Aus seinen Vorlesungen wusste er, dass plötzliche Szenenwechsel oft noch effektiver wirkten, wenn man sie mit einer Kunstpause einleitete. Jetzt versuchte er, den größtmöglichen Effekt zu erzeugen. Und dann ließ er die Bombe hochgehen.
«Ich war gestern nach der Sitzung mit dieser Annette im Bett.»
Stefan wurde blass und konnte seine Irritation nicht mehr verbergen. «Warum zur Hölle hast du das gemacht?»
Sebastian machte eine entschuldigende Geste. «Es war ein Irrtum. Ich habe es nicht so gemeint.»
«Nicht so gemeint? Wie bitte? Wie zum Teufel kann das nicht so gemeint sein?»
Stefan versuchte sich zu beruhigen, indem er sich im Sessel zurücklehnte. Mit begrenztem Erfolg, wie Sebastian vergnügt registrierte.
«Es war … ein Zeitvertreib. Um ein bisschen auf andere Gedanken zu kommen, du weißt schon. Du kennst mich ja. So bin ich nun mal.» Er sah Stefan mit geheucheltem Interesse an. «Kennst du sie denn gut?»
«Sie ist schon lange bei mir in Behandlung. Sie fühlt sich von allen im Stich gelassen, von ihrem Sohn, ihrem Exmann, von allen. Sie hat ein Problem damit, anderen zu vertrauen und ein extrem schlechtes Selbstbewusstsein.»
«Ja, das habe ich gemerkt. Sie hat meine Nähe aufgesaugt wie ein Schwamm. Aber sie ist eine richtige Kanone im Bett!»
Stefan erhob sich so heftig aus seinem Sessel, dass der Kaffee überschwappte. Alle seine sanften, verständnisvollen Seiten waren wie weggeblasen. Er war fuchsteufelswild.
«Kapierst du denn überhaupt nicht, was du da angerichtet hast? Ist dir klar, wie sie sich gefühlt hat, als sie alleine aufgewacht ist? Denn ich nehme nicht an, dass du zum Frühstück geblieben bist?»
«Nein, damit habe ich schlechte Erfahrungen gemacht.»
«Und jetzt hast du schlicht vor, ihr aus dem Weg zu gehen?»
«Das ist der Plan. Funktioniert immer am besten.» Sebastian machte noch eine Kunstpause und sah Stefan übertrieben mitleidsvoll an. «Es tut mir leid, Stefan, aber ich hab dir ja gesagt, dass ich in einer Gruppentherapie nichts zu suchen habe.»
«Die Frage ist, ob du irgendwo anders etwas zu suchen hast. Und jetzt hau ab.» Stefan zeigte auf die Tür. «Ich kann deinen Anblick nicht länger ertragen.»
Sebastian nickte und stand auf. Er ließ Stefan mit seiner aktuellen Dagens Nyheter und seinen Schnittblumen zurück.
Stefan hatte recht.
Jeder Tag war von Bedeutung.
D er große Mann war so enthusiastisch, wie seine Natur es zuließ, als er nach Hause kam. Er hatte die Schlagzeilen und Titelseiten sofort überflogen, als die Boulevardzeitungen herauskamen. Es hatte eine Pressekonferenz gegeben. Über ihn. Er wünschte sich nichts sehnlicher, als all das zu lesen, aber er konnte nicht einfach in die Wohnung stürmen und die Zeitungen aufschlagen, die er erstanden hatte.
Er war gezwungen, sein Ritual zu befolgen.
Schnell und routiniert schaltete er das Licht im Flur ein und schloss die Tür hinter sich. Zog die Schuhe aus, stellte sie ins Schuhregal, schlüpfte in die Hausschuhe, zog seine dünne Jacke aus und hängte sie über den einzigen Haken an seiner Hutablage, die bis auf eine große Taschenlampe leer war. Als er alles ausgezogen hatte, was er ausziehen wollte – im Winter landeten auch Schal, Mütze und Handschuhe auf der Ablage, stets in der genannten Reihenfolge –, öffnete er die Toilettentür und knipste auch dort das Licht an. Wie immer verspürte er ein kurzes Unbehagen, als er in die völlige Dunkelheit des fensterlosen Raumes sah, ehe die Neonröhre blinkend ansprang. Er ging auf die Toilette, kontrollierte, ob die kleine Taschenlampe, die in Reichweite auf dem kleinen Regal lag, noch funktionierte, ehe er den Reißverschluss an der Hose öffnete und urinierte. Er nahm die Taschenlampe mit zum Waschbecken, wo er sich die Hände wusch, stellte sie wieder auf ihren Platz und ließ die Toilettentür offen stehen, als er hinausging. Er schaltete die Deckenlampe im Wohnzimmer an, bog nach links und ging in die Küche, um dort das Licht anzumachen, sowohl an der Decke als auch über dem Herd. Auch hier gab es zwei
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