Die Frauen von der Beacon Street
nicht, warum wir die Vorhänge nicht viel öfter zurückziehen. So ist es hier viel fröhlicher. «
Dovie Whistler stützte sich auf einem Arm auf und hieß Sibyl mit einem Lächeln willkommen. Jetzt, da sie die junge Frau inmitten des Lichthofs um sie herum besser ausmachen konnte, sah Sibyl – und musste ihrem Vater insgeheim zustimmen –, dass die schlichte Weste und der sandfarbene Rock, die Mrs Doherty aus Sibyls Beständen geplündert hatte, wesentlich besser zu ihrer Figur passten als ihre gestrige Kleidung. Von Schminke und Kajalstift gesäubert, strahlte ihr Gesicht frischer und rosiger, als Sibyl es erwartet hatte, ihre Augen waren groß und smaragdgrün. Heute trug sie das Haar in kleinen Wellen, die sich bis knapp unters Kinn ringelten, eng an den Kopf gebürstet.
Bei Tageslicht sah Dovie so aus, als wäre sie kaum älter als zwanzig. Sibyl verspürte sogleich schwesterliches Verantwortungsgefühl, genau die gleiche Mischung aus Anspruchsdenken und Pflichtgefühl, das auch ihre Beziehung zu Eulah geprägt hatte. Sie blieb am Fenstersitz stehen und fragte sich, ob Dovie es wohl als anmaßend oder auch zu vertraut empfinden würde, wenn sie ihr für ihr Äußeres ein Kompliment machte.
» Das ist wirklich ein schönes Haus, in dem Sie wohnen « , sagte das Mädchen strahlend. » Wenn Harlan davon sprach, klang es immer wie eine Art finsteres Grabmal, aber ich finde es viel schöner als eine ganze Menge Häuser, die ich gesehen habe. «
Auch die Stimme des Mädchens klang an diesem Morgen viel weicher. Der Akzent war schwer zu orten, so flach und beiläufig wie er war, und ganz ungefärbt von dem vornehmen Englisch, wie es in Sibyls Bostoner Kreisen gepflegt wurde. Sibyl lächelte amüsiert über das etwas zweifelhafte Kompliment des Mädchens.
» Nun, vielen Dank. Mein Vater hat es entworfen. Das Haus, meine ich. Für meine Mutter, damals, als sie heirateten. «
» Oh! « Dovies Augen weiteten sich, erfüllt von – möglicherweise allerdings gespielter – Bewunderung für die ästhetischen Errungenschaften ihres Zuhauses.
» Und meine Mutter hat das Innere gestaltet. Nun, fast das ganze Innere. Sie war da sehr eigen. «
Ein wissendes Lächeln zeigte sich auf dem Gesicht des Mädchens. » Eigen. Eine Allston. Man glaubt es kaum. «
Sibyl lachte. Im Inneren des Hauses, im kleinen Salon, gab Baiji ein vorwurfsvolles Krächzen von sich, das genügte, um den jungen Frauen im großen Salon zu zeigen, dass er ihre Unterredung öde fand.
» Hat Ihre Mutter die hier auch ausgesucht? « , fragte Dovie. » Ich habe damit gespielt. Wenn ich nervös bin, nehme ich gerne Dinge in die Hand. Ist eine schlechte Angewohnheit, ich weiß. Aber ich kann einfach nicht anders. « Sie hielt die glatte, bläuliche Glaskugel hoch und balancierte sie auf den Fingerspitzen.
Sibyl hob die Augenbrauen, einen Moment lang überrascht und verärgert zugleich. Sie hatte die Kugel in ihrer Holzschachtel verstaut und in der Anrichte versteckt. Wenn Dovie sie gefunden hatte, musste sie dafür Schubladen geöffnet, unter Deckel geschaut und herumgeschnüffelt haben. Sibyl versuchte, großmütig zu sein, und sagte sich, dass Dovie schließlich schon einige Zeit wach war und man sie unbeschäftigt und allein gelassen hatte. Vermutlich hatte sie sich einsam gefühlt und in der fremden Umgebung, bei Menschen, die sie nicht kannte, nicht wohlgefühlt. Sibyl streckte die Hand aus, mit der Handfläche nach oben, und Dovie ließ die Kugel hinüberrollen. Sie fühlte sich kühl und rund und vollkommen an, ein poliertes, rauchig blaues Stück Glas, wie ein Eisbrocken aus der Arktis.
» Ach « , sagte Sibyl und schloss die Hand um die Kugel. » Nein, die gehört mir. «
Dovie schluckte sichtbar besorgt. Dann wusste sie also, wie unhöflich es von ihr gewesen war, zu stöbern und diese Kugel zu finden. Vielleicht hatte sie es einfach darauf ankommen lassen, dass Sibyl nicht wusste, wo die Kugel herkam. » Ach! Das wusste ich nicht. «
» Kein Problem. Aber eigentlich soll man sie in der Hand halten. So. « Sibyl zwang sich zu einem munteren Lächeln und reichte Dovie die kleine Kugel zurück, die sie wieder entgegennahm und mit unverhohlener Begeisterung mit ihren winzigen Händen umschloss.
» Wirklich? « , fragte sie und hielt die Kugel an ihr Gesicht, um sie besser betrachten zu können. » Was ist das denn? «
Sibyl lehnte sich in die gelbe Seide des Fenstersitzes zurück, verschränkte die Arme und lächelte. Sie wackelte mit
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