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Die Frauen von der Beacon Street

Die Frauen von der Beacon Street

Titel: Die Frauen von der Beacon Street Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Howe
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einem Fuß. » Ich bin mir nicht sicher, ob Sie mir glauben würden, wenn ich es Ihnen sagte. «
    » Oh! « , rief Dovie aus, zog ihren Fuß unter dem Gesäß hervor, beugte sich vor und stützte in einer verschwörerisch-neugierigen Geste die Ellbogen auf die Knie. » Versuchen Sie es doch mal. «
    Sibyl lachte und legte den Kopf an das Bleiglasfenster. Draußen fuhr eine frische Brise in die Efeublätter und ließ ein lebhaftes Muster aus Sonnenlicht und grünem Schatten entstehen, das auf dem blauen Samtteppich tanzte und ungewohnte Fröhlichkeit in das Wohnzimmer brachte. Der Teil eines Sonnenstrahls wanderte über Helens Porträt über dem Kamin hinweg und huschte davon. Unter dem Blattwerk tschilpten die Spatzen.
    » Nun « , begann sie. » Das ist ein bisschen schwierig zu erklären. «
    Dovie grinste und rollte die Kristallkugel voller Entzücken auf ihrer Handfläche hin und her. » Ich liebe so was! Sie müssen es mir erzählen « , drängte sie.
    Sibyl warf ein argwöhnisches Auge auf die eifrige junge Frau, die da ihr gegenüber hockte, so schmal und leicht, als wäre sie selbst ein Vögelchen. Würde sie es verstehen? Es war schwer einzuschätzen. Sibyl hatte gehört, dass das Interesse an spiritistischen Dingen in den künstlerischen Kreisen von Boston groß war, ebenso wie allgemein in der Gesellschaft. Dort vielleicht sogar noch mehr. Und ganz gewiss hatte dieses Mädchen auf seinen Reisen allerhand wundersame Dinge erlebt. Wundersame oder auch schreckliche, beides. Während sie in Dovies glattes Gesicht blickte, in die grünen Augen, die vor Neugier leuchteten, spürte Sibyl, dass ihr Interesse nicht gespielt war, sondern von Herzen kam. Dennoch vermutete sie auch, dass sich hinter ihrer Offenheit eine Verschlossenheit verbarg, wie ein Vorhang, hinter den niemand blicken durfte.
    » Oh, das werde ich. Bloß gibt es da so vieles, was ich zuerst einmal über Sie wissen möchte « , sagte Sibyl.
    Ein Schatten huschte über Dovies Gesicht, und sie richtete sich auf ihrem Sitz auf. » Über mich? « , wiederholte sie.
    » Nun, gewiss. « Sibyl bemühte sich, ihrer Stimme einen beruhigenden Klang zu geben. » Ihr Akzent zum Beispiel. Ich glaube nicht, dass ich den jemals zuvor gehört habe. Woher kommen Sie denn? «
    » Nun, aus Kalifornien « , erklärte das Mädchen. » San Francisco. «
    Sibyl merkte, dass Dovie versuchte, ihre wahren Gefühle zu verbergen. Und sie war auch recht erfolgreich damit – hätte Sibyl kein so scharfes Auge gehabt, wäre ihr Dovie als jemand erschienen, der über seine Herkunft leidenschaftslos oder zumindest mit Desinteresse berichtete. Doch diese Sorglosigkeit war gespielt.
    » Ach « , meinte Sibyl wehmütig. » Ich habe oft von Kalifornien geträumt, wissen Sie. Aber ich war noch nie da. Stimmt es denn, dass da die Luft immer nach Zitronen riecht? Das habe ich irgendwo gelesen. «
    Ein Zug fuhr ratternd durch Sibyls Fantasie, paffte Rauchwölkchen und gab ein sehnsüchtiges Pfeifen von sich. Er tuckerte durch Tunnels, die durch Berge gesprengt waren, vorbei an weiten Ebenen, mit Büffeln gesprenkelt, und mit edlen Rothäuten hoch zu Ross. Hatten die denn da draußen im Wilden Westen überhaupt noch Büffel? Und gab es noch Indianer zu Pferde? Sie wusste es nicht. Hatte es das alles je gegeben? Und Dovie hatte es gesehen! Es kam ihr unglaublich vor, dass eine solch junge Frau eine solch gewaltige Entfernung hinter sich gebracht hatte.
    Dovie lächelte nur, immer noch etwas angespannt. Auf die Bemerkung mit den Zitronen ging sie nicht ein.
    » Und wie lange sind Sie schon in Boston? « , fuhr Sibyl unbeirrt fort.
    » Ach, wissen Sie, eine ganze Weile schon. Ich kann mich kaum mehr erinnern, um die Wahrheit zu sagen. Kommt mir so vor, als wäre ich schon immer hier. « Dovie hielt ihr Lächeln vage.
    Sie richtete den Blick eher auf die Wahrsagerkugel als auf Sibyls Gesicht. Eine Weile rollte sie die Kugel zwischen ihren Händen hin und her, dann legte sie sie auf ihren Schoß.
    » Aha « , meinte Sibyl. » Dann betrachten Sie Boston jetzt also als Ihre Heimat? «
    » Ja, ja, in der Tat « , stimmte Dovie ihr zu, erleichtert, das Thema Kalifornien hinter sich zu lassen.
    » Und trotzdem wohnen Sie noch in einer Pension? « , drängte Sibyl, hielt dabei ihren Ton jedoch sanft.
    » Sicher. « Die Augen des Mädchens verdunkelten sich zu einem tieferen Smaragdton. » Das ist recht günstig, wissen Sie. Und auch ehrbar. Familie habe ich keine mehr, und Mrs Lee, die das Haus

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