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Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition)

Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition)

Titel: Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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oder meinetwegen an Deiphobos’ Seite! Alles wäre besser gewesen als diese erbärmliche, feierliche und offizielle Sklaverei. Die Eitelkeit meines Mannes«, flüsterte Helena, »ist unvorstellbar groß. Er will die Welt glauben machen, ich hätte ihn geliebt. Deshalb hat er befohlen, dass in den Schulen und in der Öffentlichkeit meine Unschuld verkündet wird. Als wäre eine Frau wie ich zum Vorbild für eine Tugendstatue in einer Dienstbotengesellschaft geboren! Ich und dein Vater, wir wussten noch, dass es eine höhere Tugend gibt, deren Gesetz bedingungslos ist und nicht ins Buch der spartanischen Gesetze passt. Ja, sieh dir nur dieses Abbild an!« Sie zeigte mit dem Stock auf die Marmorstatue. »Das war ich, als die Welt meinetwegen in den Krieg zog. Knochen wurden gebrochen, und das Blut strömte. Schau nur, Sohn des Ulysses!«
    Sie verstummte und räusperte sich. Ihr blieben die Worte weg, und ergriffen sah ich, dass sie wieder zu weinen begann. Aber sie rang ihre ältliche Ergriffenheit nieder.
    »Sag ihm, dass du mich gesehen hast«, sagte sie verschämt. »Du hast mich gesehen, sag ihm nur das.«
    Sie hob die Hand wie zur Abwehr.
    »Nicht ein Wort mehr als das!«
    Sie senkte den Blick. Ich schwieg unruhig. Aber dann hatte ich das Gefühl, ich müsste mit einem Kompliment ihren Kummer lindern. Unsicher sagte ich:
    »Ich sehe und bewundere dich, göttliche Frau. Der Zauber deines Wesens …«
    Weiter reichte es nicht. Aber Helena tat auch das gut. Sie lächelte – es lag etwas Schauriges in diesem koketten Zahnlückenlächeln –, legte den Kopf zur Seite und klimperte rasch mit den Augenlidern. Auch ihre Stimme änderte sich: Auf das Kompliment hin sprach sie schnell, mit perlender Zunge und gut gelaunt. Dieses Gezwitscher passte nicht zu ihrer betagten Erscheinung. Ich weiß selbst nicht, warum, doch von diesem Augenblick an peinigte mich eine sonderbare Besorgnis.
    »Findest du?«, fragte die weitberühmte Dame lächelnd, und zwischen den geschminkten Lippen blitzte für einen Augenblick die Spitze ihrer herausgestreckten Zunge hervor. Sie lachte wiehernd und hielt sich mit einer anmutigen Bewegung die Hand vor den Mund.
    »Setz dich näher«, sagte sie freundlich. Zögernd gehorchte ich. »Du bist nicht der Erste von Ulysses’ Nachkommen, der mich in meiner spartanischen Einsamkeit besucht. Auch Penelopes Sohn war hier, ein hagerer Junge, dessen Namen ich vergessen habe. Dann andere herumtreiberische Sprösslinge deines verschwenderischen Vaters. Zu allen war ich nett«, sagte sie geheimnisvoll. »Auch dich kann ich leiden. Ich weiß nicht, was mein langsam verfallender, armer Mann dir vorgeschwatzt hat. In Wahrheit gab es nur einen einzigen Mann in meinem Leben, an den ich mit Freundschaft denke: deinen Vater. Und wahr ist auch noch, dass weder mein Mann noch dein Vater mir jemals das Schicksal und die Rolle verzeihen konnten, die die Götter mir zugemessen haben. Meine Rolle in der Welt war, die Männer zu großen Unternehmungen anzutreiben. Meine Mission habe ich erfüllt«, sagte sie feierlich. »Sag deinem Vater, dass ich sein Andenken bewahre.«
    Sie nahm meine Hand. Die Berührung ihrer knochigen Finger war kalt. Ich zitterte und stand auf. Helena lächelte und zwinkerte mir zu.
    »Mein Mann schläft tief«, sagte sie ungezwungen. »Das Abendessen nimmt er in der letzten Zeit immer erst gegen Mitternacht ein, wenn er den Rausch ausgeschlafen hat. Geh in dein Zimmer, Sohn des Ulysses, und warte vertrauensvoll! Sicher bist du hungrig. Ich sorge dafür, dass dir in deinen Wohnräumen serviert wird. Und wenn du mit dem Essen fertig bist, warte auf mich. Vor dem Schlafengehen …«
    Sie zog den zahnlosen, rot gemalten Mund in die Breite. So lächelte sie, geheimnisvoll und fürchterlich. Mir lief es kalt über den Rücken. Mit langsamen Schritten zog ich mich rückwärts zur Tür zurück. Lüstern, heiser und schwerfällig flogen mir Helenas Worte nach:
    »… sehe ich noch bei dir hinein. Wer weiß, ob du nicht irgendetwas brauchst?«
    Mit einem Sprung war ich aus der Tür draußen. Ihr Lachen hallte wie das Fiepen einer Eule in meinen Ohren. Ich rannte über Korridore und Treppen. Als ich mein Zimmer erreicht hatte, packte ich die Lanze und sprang durchs Fenster in den Garten. Schon hatte sich die Nacht eingestellt, im schützenden Schatten ihrer Schleier gelangte ich durch die schlecht beleuchteten, engen Straßen von Sparta ins Freie. Als ich durch den Fluss Eurotas gewatet war, fühlte ich mich

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