Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition)
gab es eine Zeit, in der das arkadische Volk meinen Mann als Gott verehrte. Der Gott des Meeres war er, lange. Später wurde er von den Griechen, diesem dahergelaufenen Gesindel, vertrieben, zusammen mit den anderen alten arkadischen Göttern. Degradiert wurde er, sie machten einen einfachen Helden aus ihm. Einen Helden, aus meinem Mann! Ich weiß, wovon ich rede, weil meine Vorfahren ebenfalls aus Arkadien stammen und göttlichen Ursprungs sind. Mein Vater Ikarios wanderte von dort nach Sparta aus. Hätte er das nur niemals getan! Aber vielleicht war auch dies der Wille der Götter, seiner mächtigen Verwandten!
Doch immer der Reihe nach. Wenn ich von ihm spreche, fühle ich mich immer noch wie eine irdische Frau in den Wechseljahren, deren Blut bisweilen jäh in Wallung gerät. Alles war wunderbar an ihm – wunderbar und zugleich verdächtig. Ja, in Arkadien war er noch ein Gott, der Gott des Meeres. Doch unter den Göttern ist die Eifersucht groß. Pallas Athene, die mich manchmal hier auf der Insel Aiaia besucht – sie ist eine alte Freundin unseres Hauses, und bei etwas Ambrosia und einer Tasse Nektar unterhalten wir uns stundenlang über vergangene Zeiten, als es noch einen echten Olymp gab mit einem glänzenden Gesellschafts- und Hofleben –, Pallas Athene sagt, die Götter sind heutzutage gar nicht mehr so sehr aufeinander eifersüchtig, sondern eher auf die Menschen. Der Mensch, sagt meine eulenäugige Freundin, benimmt sich heutzutage wie ein Gott und ist prahlend zwischen Himmel, Erde und Wasser unterwegs wie einstmals der Wolkensammler Zeus: Der Mensch glaubt, er herrsche über die Elemente und die Welt … Diese Nachricht hat mich nachdenklich gemacht. Die Menschen – genauer gesagt die Griechen – haben, als sie die alten Götter, unter anderem meinen Mann, ins Exil trieben, einen einfachen, aber aus einer guten Familie stammenden arkadischen Gott zu einem griechischen Helden verfälscht. Diese Erniedrigung schmerzte ihn im Geheimen. Er redete auch nicht gern darüber, dass er einst ein Gott war. Und er verachtete Poseidon, den Titelusurpator, von ganzem Herzen. Dieser Dreckskerl ist nur dank der Griechen zum Gott erhoben worden … Ein Gott, den die Menschen geschaffen haben! Ich erinnere mich noch an die Zeit, in der die Götter den Menschen schufen. Möglicherweise war das ein wenig übereilt.
Manchmal höre ich schadenfroh, dass man nicht einmal seinen Namen richtig versteht. Die Sklaven, die heute die Bücher schreiben, streiten sich auf Zehntausenden von Seiten in dicken Wälzern darüber, was eigentlich sein richtiger Name war und was er zu bedeuten hatte. Sie wollen den Leuten einreden, dass mein Mann, als er – gezwungenermaßen – die griechische Staatsbürgerschaft annahm und sich in Ithaka niederließ, seinen Namen gräzisierte. Das ist eine Lüge. Bis zum Ende seines Lebens war er Ulysses, unser wunderbarer und fürchterlicher Herr.
Die Sänger und Seher sprachen seinen Namen später griechisch aus. Die Sklaven, die nicht mehr singen konnten und deshalb zu schreiben begannen, beteuerten, sein Name bedeute so viel wie »der Hasser«. Andere sagten: »den viele hassten«. Das stimmt, denn er wurde von vielen gehasst. Die Griechen, dieses kindisch prahlende, krankhaft eitle Volk, das vor Nationalstolz platzt, wollten die Welt glauben machen, mein Mann habe seinen alten Namen freiwillig abgelegt, um seiner Wahlheimat, der Griechenwelt, auch damit seine Treue zu erweisen. Es werden noch einige Äonen vergehen, bis ich die ganze Wahrheit sagen darf. Aber ich habe Zeit, und eines Tages wird die Wahrheit ans Licht kommen. Das Andenken meines Mannes ist so strahlend, dass ihm auch die Beschuldigungen der Griechen nichts anhaben können. Ich leugne nicht, dass er ein guter Grieche war, ein treuer Bürger seiner neuen Heimat. Doch wer glaubt, er hätte um jeden Preis Grieche sein wollen, der irrt. Seine Heimat war Ithaka, ja. Aber er hatte auch noch eine andere Heimat: die Veränderung. Hier war er wirklich Staatsbürger.
Ich will die Wahrheit sagen. Auch wenn ich damit sein Andenken verletze, denn er hielt nicht viel von der Wahrheit. Er log nämlich meisterhaft. Das ist kein Wunder, wenn man bedenkt, dass sein Großvater Autolykos war, der göttliche Viehdieb, Rosstäuscher und Brandmalfälscher, der das Lügen noch vom arkadischen Hermes gelernt hatte.
Autolykos war es auch, der seinem Enkel den Namen Ulysses gab. Dieser Name, jetzt kann ich es ruhig sagen, bedeutet »der
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