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Die Frauen von Savannah

Die Frauen von Savannah

Titel: Die Frauen von Savannah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beth Hoffman
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mit glasigen, leblosen Augen über die grauen Grabsteine hinweg, und Mrs Odell berührte Mommas Sarg und flüsterte: »Ruhe in Frieden, Camille. Ruhe in Frieden.«
    Als wir auf dem Weg zum Auto waren, zwitscherte ein Rotschulterstärling und flog über den Friedhof. Ich sah ihm nach, wie er sich aufschwang und über einem immergrünen Baum verschwand, und ich dachte daran, wie Momma gesagt hatte, sie wäre gern ein Vogel und könnte heim nach Georgia fliegen. Ich zeigte in die Richtung, in die der Vogel verschwunden war, und fragte Mrs Odell, welche Himmelsrichtung das war.
    »Süden«, sagte sie.
    Ich sah in den Himmel und lächelte.
    Zu Hause gingen Dad und ich in die Küche wie Fremde, die nicht besonders glücklich waren, am selben Ort gelandet zu sein. Es war erst Viertel vor elf morgens, aber er nahm sich ein Glas und eine Flasche Schnaps aus dem Schrank und setzte sich an den Tisch. »Cecelia, ich muss mit dir sprechen, und ich …«
    Ich drehte mich um und ging in mein Zimmer.
    Dort öffnete ich das Fenster, so weit es ging, und legte mich aufs Bett. Ein warmes Lüftchen streichelte mich und brachte Gedanken an Momma mit. Ich fragte mich, wie der Augenblick zwischen Leben und Tod gewesen war. War ihr Leben vor ihr abgelaufen? Hatte sie das Gesicht von Jesus gesehen? War sie im Himmel, wie der Prediger gesagt hatte, oder war Mommas Platz im Leben nach dem Tod ein riesiger Wohltätigkeitsladen voller Schönheitsköniginnenkleider, Ballroben und Tausender passend eingefärbter Schuhe in ihrer Größe?
    Gab es im Himmel einen eigenen Platz für Leute, die psychisch krank waren, oder wurde man, wenn man psychisch krank war und starb, automatisch wieder gesund? Ich faltete die Hände unter dem Kinn und sprach ein Gebet. »Lieber Gott, es tut mir so leid, dass meine Mutter gestorben ist. Ich hoffe, das war nicht meine Schuld. Ich war ganz lange sauer auf sie, und als ich mir vor einer Weile gewünscht habe, sie wäre tot, da habe ich das nicht so gemeint. Ehrlich nicht. Sie war nicht gerade glücklich, und ich glaube, vielleicht geht es ihr bei dir besser. Wenn sie nicht schon da ist, hilfst du ihr dann, den Weg in den Himmel zu finden? Sie verirrt sich immer so leicht.«
    Außerdem betete ich darum, dass es im Himmel keine Schönheitswettbewerbe gebe.
    Ich erwachte mit einem Schrecken, verschwitzt und verwirrt. Ich rollte mich auf die Seite und sah auf die Uhr auf meinem Nachttisch. 12.55 Uhr. Ich rieb mir den Schlaf aus den Augen und rutschte zur Bettkante.
    Als ich mir die Schuhe zumachte, hörte ich Schotter knirschen. Und aus dem Fenster sah ich das schönste Auto, das ich jemals gesehen hatte. Ein schimmerndes Pflaumenrot, mit weißem Cabriodach und einem großen, glänzenden Chrom-Kühlergrill. In der Mittagssonne glitzerte die Kühlerfigur, ein kleiner Engel mit gespreizten Flügeln, die Hände nach vorn gestreckt, als wollte er alles beiseiteschieben, was sich ihm in den Weg stellte. Die Fahrertür ging auf, und eine rundliche, kleine Frau stieg aus. Sie trug ein makelloses dunkelblaues Kostüm und auf dem Kopf den dazu passenden Hut mit einer langen braun gesprenkelten Feder an der Seite.
    Die Fliegentür quietschte, als Dad auf die Veranda trat. »Tallulah? Das glaube ich ja nicht. Du bist extra ganz von Georgia aus hergefahren?«
    Sie kam mit zügigen Schritten über den Rasen. »Allerdings. Und es war von Anfang an eine grauenhafte Fahrt. Der Verkehr war fürchterlich. Ich habe in Columbus übernachtet und wollte heute früh hier sein, aber dann bin ich irgendwo auf dem Land gelandet. In einem Ort namens Orwell. Na, jedenfalls, hier bin ich. Tut mir leid, dass ich die Beerdigung verpasst habe, Carl. Waren viele da?«
    Dad beantwortete das nicht.
    Kurz darauf hörte ich sie im Wohnzimmer murmeln. Dad sprach mit harten Konsonanten und abgehackten Vokalen, die gegen die Wand prallten und verklangen, bevor ich genau verstehen konnte, was er sagte. Ich wusste, dass sie über Momma redeten, aber ich war erschöpft von den vergangenen Tagen und wollte nicht mehr über sie nachdenken. Ich schloss die Tür, legte mich aufs Bett und las Die Schatzinsel .
    Nach mehreren Kapiteln sah ich auf die Uhr. Es war über eine Stunde vergangen, und sie redeten immer noch. Ich glitt vom Bett und öffnete geräuschlos die Tür.
    »Das wüsste ich auch gerne. Vielleicht ist sie gestolpert«, sagte Dad ächzend. »Oder vielleicht ist sie …«
    »Carl, nach allem, was du mir erzählst, glaube ich, Camille hatte eine

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