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Die Frauen von Savannah

Die Frauen von Savannah

Titel: Die Frauen von Savannah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beth Hoffman
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es kam keine Träne. Ich konnte nur irgendwohin starren und mir vorstellen, wie Momma durch die Luft flog und wie der Chiffonrock ihres Königinnenkleids sich im Wind bauschte wie ein Fallschirm aus Spinnweben. Ich stellte mir vor, wie sie sanft am Straßenrand landete, wie das Kleid anmutig um sie herumflog, ich sah ihren steifen Unterrock, der dem Wind standhielt, und wie der Spitzensaum ein wenig flatterte, wenn ein Auto vorbeifuhr.
    All das konnte ich mir gut vorstellen, aber ich konnte mir nicht vorstellen, dass Momma tatsächlich tot sein sollte. Momma war schon immer eine Schauspielerin gewesen, und ich rechnete fast damit, dass sie gleich in mein Zimmer wirbeln, sich aufs Bett werfen und mir erzählen würde, dass sie nicht mal verletzt sei – dass sie das nur so zum Spaß gemacht hätte. Fast hörte ich sie sagen: »Habe ich nur gemacht, damit in diesem verschnarchten Kaff mal was los ist.«
    Ich setzte mich auf und schaute aus dem Fenster. Es kam mir komisch vor, dass mein Dad und der Polizist sich unterhielten, als wären sie Freunde. Ich fragte mich, ob der Tod so was auslöst – dass Fremde für ein paar Minuten Freunde werden, oder für eine Stunde oder vielleicht einen ganzen Tag. Außerdem verwirrte es mich, dass die Vögel einfach weiterzwitscherten, dass der Verkehr vor unserem Haus weiterlief, und dass der Mann gegenüber einfach weiter seine Hecke schnitt. Sogar die Nachbarinnen gingen mit ihren Einkaufswägelchen einfach weiter.
    Momma war tot, aber der Tag ging einfach weiter wie immer.
    Der Rest dieses Freitags ist aus meiner Erinnerung komplett gelöscht. Samstag und Sonntag nach Mommas Tod auch so ziemlich – ein paar nebulöse Fetzen, die nicht recht zusammenpassen. Ich erinnere mich, wie Mrs Odell mir den Rücken streichelt, und ich erinnere mich, wie ich in der Badewanne aufwache und unten in der Küche das Telefon klingelt und klingelt. Ich erinnere mich nur noch dunkel, wie ich Erbrochenes vom Toilettenrand wische, aber ich erinnere mich nicht daran, gebrochen zu haben. Die meiste Zeit war ich wohl im Bett und versteckte mich hinter dem schwarzen Schirm meiner geschlossenen Augen, lauschte den Zweigen der Bäume, die eine traurige Melodie aufs Dach kratzten. Ich erinnere mich nicht, irgendetwas gegessen zu haben, aber einmal wachte ich nachts auf und fand ein umgekipptes Schälchen Cornflakes in meinem Bett, mein Laken hatte die Milch aufgesogen und ich hatte unter dem Arm ein Stück Banane zerdrückt.
    Sosehr ich mich auch bemühe, das ist alles, was ich an Erinnerungen zutage bringe.
    Momma wurde an einem strahlend blauen Montagmorgen beerdigt. Außer Dad und mir versammelten sich um ihren einfachen Holzsarg nur ein Prediger, den ich noch nie gesehen hatte, Mrs Odell und Dottie McGee, die den Wohltätigkeitsladen betrieb.
    Mrs Odell ergriff meine Hand, als der Prediger ein Gebet sprach und Gott bat, Momma in den Himmel aufzunehmen. Dad stand etwas abseits, die Hände tief in den Taschen vergraben, und sah blass und wächsern aus.
    Als der Prediger fertig war und seine Bibel mit einem leisen, aber endgültigen Fump zuklappte, schniefte Mrs McGee in ein Taschentuch. »Camille war die beste Kundin, die ich je hatte«, sagte sie und tupfte sich die Augen trocken. »Sie war so lustig und hatte immer was zu erzählen. Ich werde nie wieder ein Ballkleid anschauen können, ohne an sie zu denken.«
    Ob diese Worte Dad ärgerten oder verletzten, war nicht zu erkennen, aber er presste die Lippen aufeinander und drehte sich weg.
    Mrs Odell hatte einen Strauß aus weißen Schwertlilien und rosa Pfingstrosen aus ihrem Garten geschnitten und ihn mit einem weißen Satinband zusammengebunden. Sie gab mir den Strauß, beugte sich zu mir und flüsterte: »Hier, Liebes. Nimm die Blumen und leg sie deiner Mutter auf den Sarg. Du musst jetzt Abschied nehmen.«
    Als ich vortrat, hörte ich einen schrillen Ton im Ohr. Und obwohl ich in einem Ausmaß traurig war, das ich mir nicht hatte vorstellen können, starrte ich den Sarg meiner Mutter mit trockenen Augen an. Wie betäubt. Meine Brust tat weh, ich konnte kaum atmen. Ich hatte das Gefühl, an meinem schlechten Gewissen ersticken zu müssen.
    War das meine Schuld? Waren meine Gebete missverstanden worden? War Gott zu dem Schluss gekommen, nichts anderes tun zu können?
    Mrs McGee watschelte vom Grab weg, tupfte sich noch einmal die Augen und schüttelte den Kopf. Ich sah sie in einen alten grünen VW steigen, der knatterte, als sie ausparkte. Dad starrte

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