Die Frauen
je vor einem Menschen verbeugt habe, meinen Vater und den Rektor der Kaiserlichen Universität Tokio eingeschlossen.
Er verbeugte sich ebenfalls, jedoch nur leicht - ein Neigen von Kopf und Schultern, wie es seiner Position mir gegenüber entsprach. Zu meiner Überraschung begrüßte er mich dabei auf japanisch. »Konnichi wa«, sagte er und richtete die Augen auf mich. »Hajimemashite«, antwortete ich und verbeugte mich ein zweites Mal.
Wrieto-San war damals fünfundsechzig, nach eigenen Angaben allerdings erst dreiundsechzig, und nach seinem Aussehen und Verhalten zu urteilen, hätte er gar zehn oder fünfzehn Jahre jünger sein können. In seiner Autobiographie, die in jenem Jahr erschienen und hoch gelobt worden war, behauptete er, einen Meter siebzig zu messen, doch tatsächlich war er deutlich kleiner (ich selbst bin einen Meter achtundsechzig groß, und ich sollte im Laufe der folgenden Wochen verschiedentlich die Gelegenheit haben, unauffällig unsere Körpergröße zu vergleichen - ich war bestimmt drei, wenn nicht fünf Zentimeter größer als er). Er war gekleidet wie ein Ästhet auf dem Weg zu einer Kunstausstellung: Baskenmütze, Cape, ein Hemd mit hohem Kragen, wollene Wickelgamaschen, dazu der Malakkastock, den er gern benutzte, um seine Eleganz und Autorität zu unterstreichen. Sein Haar, ein Gewirk aus Schäfchen- und Gewitterwolke, quoll ihm über den Kragen.
»Ogenki desu-ka?« fragte er. (Wie geht es Ihnen?)
»Genki-desu«, antwortete ich. »Anata wa?« (Gut. Und Ihnen?) »Watashi-mo genki desu.« (Mir geht es auch gut.)
Damit war sein Japanisch offenbar erschöpft, denn er beugte sich über die Motorhaube des Cord ins Licht, wie um mich noch besser betrachten zu können, und wechselte ins Englische. »Und Sie sind?« Ich verbeugte mich erneut, so tief ich konnte. »Sato Tadashi.« »Tadashi? Ich kannte mal einen Tadashi in Tokio - Tadashi Ito, einer aus Baron Ökuras Gruppe.« Er musterte mich, registrierte den Glanz meiner Schuhe, die Bügelfalten meiner Hose, meinen Kragen und die Krawatte. »Ihr Name bedeutet >korrekt<, nicht wahr?«
Ich verbeugte mich bestätigend.
»Und entsprechen Sie Ihrem Namen? Sind Sie korrekt, Tadashi?«
Ich bejahte das - »zumindest am Zeichentisch« -, und er lachte. Wrieto-San lachte sehr gern, er war ein Ausbund an Fröhlichkeit und Ausgelassenheit und besaß einen natürlichen, wohltuenden Charme, durch den sein Genie noch an Strahlkraft gewann.
Aber natürlich war er auch für seine Schärfe bekannt, für seine Launen und Wutanfälle, besonders wenn er das Gefühl hatte, dass man ihm nicht die Achtung - die Bewunderung, ja Verehrung - entgegenbrachte, die ihm seiner Ansicht nach gebührte.
»Und anständig auch?«
Eine weitere Verbeugung.
Jetzt grinste er - sein ganzes Gesicht verwandelte sich. »Tja, Tadashi, also, ich muss ja sagen - das ist eine der Eigenheiten Ihres Volkes, die ich an am meisten liebe.« Er richtete sich auf und tänzelte auf den Pflastersteinen in einem kleinen Kreis um mich herum - er konnte nie lange stillhalten, sein Enthusiasmus war unerschöpflich, seine Energie vulkanisch. »Die strikte Beachtung von Normen und Beschränkungen. Ich kann das durchaus auch«, sagte er und zwinkerte, ehe er fortfuhr, »aber ich hoffe, Sie werden nicht schockiert sein, Sato-San, wenn ich häufiger unanständig als anständig bin. Sie würden einen Mann ja wohl nicht festnageln wollen, oder? Ihn in die Ketten der Konvention legen?«
Ich begriff nicht ganz, wohin unsere Unterhaltung sich bewegt hatte, doch ich erkannte, dass es eine Art scherzhaftes Geplänkel war und dass ein gemurmeltes »Nein« als Antwort völlig ausreichte.
»Sie sind doch der aus Harvard, stimmt’s, mit Zwischenstopp im Institute of Technology?«
»Ja.«
»Meiner Erfahrung nach« - wie ich feststellen sollte, gab er ständig irgendwelche grundsätzlichen Erklärungen ab, und diese äußerte er nicht zum erstenmal - »nimmt Harvard schlaue Füchse als Studenten auf und macht Esel aus ihnen.«
Seinem Ton war zu entnehmen, dass er Gelächter erwartete, also lachte ich und stimmte ihm zu. Da ich wusste, wie stark ihn die Architektur meines Landes, die schlichte und klare Linienführung unserer Wohnhäuser und Tempel, beeinflusst hatte, verbeugte ich mich abermals und sagte: »Ich konnte einfach nicht allein mit der klassisch und ornamental ausgerichteten Ausbildung, die man hier an der Universität bekommt, nach Japan zurückgehen ...«
»Und deshalb sind Sie zu mir
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