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Die Frauen

Die Frauen

Titel: Die Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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zeichnete schon seit meiner Kindheit, und während meine Mitschüler an der Yasinori Academy Doppeldecker oder Automobile skizzierten, schuf ich mir eine eigene Welt, fertigte perspektivische Ansichten erfundener Städte und bevölkerte diese mit voll ausgestalteten Figuren, die weitläufige Boulevards entlangschritten, unterwegs zu ihren Landhäusern, die ich in zahlreichen Skizzen, Grund- und Aufrissen für sie entwarf. (Grundrisse faszinierten mich besonders, weil ich sie so leicht zum höheren Wohl und unübertrefflichen Glück dieser unbekümmert dahinschreitenden Menschen, für die ich mir Namen, Berufe und Biographien ausdachte, manipulieren konnte - ich verschob hier eine Wand für das Billardzimmer, schuf dort ein Süßigkeitenzimmer oder ein Jungenzimmer mit dreistöckigem Etagenbett, Cowboyhüten und Bisonköpfen an der Wand und einer eigenen Rutsche auf die Straße.) Irgendwie hatte ich immer einen Stift in der Hand und kritzelte, skizzierte, schattierte oder malte etwas aus. Manchmal saß ich stundenlang träumend vor einem Blatt Papier, bis ich dort Dinge sah, die niemand anders sehen konnte, ließ mich von Zirkel, Winkelmesser und Lineal leiten, während mir unter dem Tisch vor lauter Aufregung die Knie zitterten und ich mit allen Fasern um Stimmigkeit rang. Es war zauberisch, eine Art Magie, ein elektrischer Strom, der vom Gehirn in die Hand in den Bleistift floss, bis das Blatt zum Leben erwachte. »Aber wissen Sie was«, sagte Wes gerade, und sein Blick sprang von mir zum Bearcat und wieder zurück, »ich glaube, wir müssen heute auf den Teezirkel verzichten, denn wir brauchen Lebensmittel, ich meine, wir brauchen sie dringend, und ich dachte, wenn es Ihnen nichts ausmacht ... « Er sprach nicht zu Ende und sah mit vielsagendem Blick zum Bearcat hinüber.
    Es dauerte einen Moment - ich bin manchmal ziemlich schwer von Begriff, besonders wenn ich abgespannt bin, immerhin war ich erst vor zehn Minuten aus dem Auto gestiegen, meine Koffer lagen noch auf der Rückbank, und ich wurde von neuen Eindrücken überrollt wie von einem Tsunami -, ehe ich ihn verstand. »Ach so«, sagte ich. »Ja. Natürlich.«
    »Wenn es Ihnen nichts ausmacht«, wiederholte er in besänftigendem Ton, dem Ton eines Menschen, der bekommen hat, was er will, und schlenderte bereits mit seinen raumgreifenden Schritten auf den Wagen zu, während ich zu ihm aufschloss. »Es sind nur sechs Kilometer.«
    »Nein, natürlich nicht«, sagte ich, öffnete die Fahrertür und spähte zugleich den teuflischen Hang hinab zu der gewundenen Straße und der Schweinefarm in der Ferne, während er sich auf den Beifahrersitz zwängte. »Es macht mir gar nichts aus. Überhaupt nichts.«
    Die Frau im Lebensmittelladen schaute mich - schaute uns - mit dem gleichen Blick an, mit dem mich schon die Farmerin bedacht hatte: zusammengepresste Lippen, glühende Augen, nicht ein Hauch von Sympathie oder auch nur ganz normaler Freundlichkeit. Wes verlangte Ketchup, Kaffee, Tee, Zucker, riesige Säcke getrocknete Bohnen und Reis und all die anderen Grundnahrungsmittel, die der Gemüsegarten und die Farm von Taliesin nicht bieten konnten. (An diesen Blick sollte ich mich in den kommenden Monaten übrigens gewöhnen. Er hatte natürlich mit meiner Rassenzugehörigkeit zu tun, doch Wes und Herbert Mohl, ja eigentlich alle, die in irgendeiner Weise mit Taliesin verbunden waren, zogen ihn ebenfalls auf sich, und er erklärte sich vor allem aus Wrieto-Sans Gewohnheit, anschreiben zu lassen, und dem tiefsitzenden Unmut über seine früheren Techtelmechtel und Affären, über das in den Augen der zutiefst konservativen einheimischen Bevölkerung ganz und gar unmoralische Verhalten, das er damals an den Tag gelegt hatte. In aller Öffentlichkeit. Hier im Herzland Amerikas. Obwohl er doch Sohn und Neffe von Predigern war.) Nachdem Wes unterschrieben hatte - die Frau war wütend, erhitzt, die Sehnen an ihrem Hals waren hervorgetreten, und ihr Blick hätte uns die Haut von den Knochen sengen können -, stiegen wir schwerbeladen in den Bearcat und fuhren zurück nach Taliesin.
    Und dann stand ich in der Küche und schälte Zwiebeln.
    Die Küchenchefin (Miss Emma Larson, fünfundvierzig Jahre alt, mollig und energisch, mit einem angegrauten, schwungvoll nach vorn gekämmten Bubikopf, der vielleicht zehn Jahre zuvor an der Schaufensterpuppe eines Kaufhauses modisch gewirkt haben mochte) beugte sich über einen geschwärzten Kessel, der heftig klappernd auf dem Holzofen

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