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Die Frauen

Die Frauen

Titel: Die Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Auseinandersetzung immer wieder durch den Kopf gehen, überlegte, was sie hätte sagen sollen: Sie hätte fest bleiben und zugleich doch nachgiebig sein sollen. Frank mochte Herbert besonders gern - er war ein exzellenter, akkurater Zeichner und darüber hinaus ein hervorragender Flötenspieler, der ihre Musikabende bereichert hatte -, sie mochte ihn ebenfalls, und jetzt würde ihnen bei der vielen Arbeit auch noch ein Mann fehlen. Es war ein Jammer und ganz allein ihre Schuld. Sie war verstimmt gewesen, aber das war keine Entschuldigung - sie war hier verantwortlich, und sie hätte mehr Selbstbeherrschung, mehr Zurückhaltung, mehr Würde an den Tag legen sollen. Lass dir nie anmerken, was du denkst, hatte ihre Mutter immer zu ihr gesagt. Und ihre Mutter war so grimmig und gebieterisch gewesen wie nur irgendeine Frau auf dieser Welt. So machte sie sich schließlich, als sie mit den Kartoffeln fertig war, auf die Suche nach ihm.
    Es hatte mittlerweile angefangen zu schneien. Sie hatte den Wetterwechsel schon frühmorgens gerochen, die Feuchtigkeit in den stetig sich ausbereitenden Wolken hatte wie eine Vorwarnung in der Luft gelegen, und gespürt hatte sie ihn auch, denn während sie den Hühnern ihr Futter vorwarf und dann Eichenscheite auf einen Schubkarren lud, den sie mit Atemwölkchen vor dem Mund durch den Hof zum Haus schob, schien eine gewisse Weichheit sie einzuhüllen. Jetzt perlte der Schnee dicht und rasch herunter, man hörte das leise Zischeln, sobald man die Tür aufmachte. Herbert war nicht in seinem Zimmer, und das Feuer war heruntergebrannt. Das Bett war gemacht, aber seine Kleider, sein Koffer und seine Flöte waren fort. Sie erschrak: Hatte er es wirklich ernst gemeint? War er so stur? So dumm? Sie schlüpfte in ihren Mantel und ging in den Hof hinaus, wo sie seine Fußspuren entdeckte, die sich in der akkuraten Linienführung des Zeichners den Hügel hinunterzogen und zwischen den Gazeschleiern des Schneesturms verschwanden. Die Spuren füllten sich bereits mit Schnee.
    In ihrer Eile - sie musste ihn zurückholen, bevor Frank etwas merkte, das war alles - hatte sie weder an Mütze noch an Handschuhe gedacht. Sie fand ein Baumwolltuch in ihrer Manteltasche und band es sich um den Kopf, doch ihr Haar war schon feucht, war feucht geworden, kaum dass sie aus dem Haus geeilt war, und sie wusste, dass sie eigentlich umkehren und ihre Handschuhe holen sollte, doch sie hatte es zu eilig. Während sie die Auffahrt hinunterging, rutschte sie zweimal aus und fiel, und ihre nackten Hände schmerzten in der Kälte. Der Wind wurde stärker und trieb ihr Eiskörner ins Gesicht.
    Herberts Spuren wurden undeutlicher. Egal. Sie wusste, wohin er wollte.
    Es waren über fünf Kilometer zum Bahnhof in Spring Green. Unter idealen Bedingungen hätte sie mit ihren ausgreifenden, zielstrebigen Schritten eine gute Stunde gebraucht, aber der Schnee lag schon knöchelhoch, und der Boden darunter war von einer rutschigen, dünnen Eisschicht überzogen, so dass sie vorsichtig gehen musste. Die Straße lag verlassen vor ihr. Die Hügel zogen sich bogenförmig zum Fluss hinunter, die sich schwach abzeichnende Brücke bildete eine gerade Linie zum gegenüberliegenden Ufer. Nichts rührte und regte sich, bis auf die Vögel, die aus den struppigen Baumkronen aufstoben, derweil die Bäume mit einem knarrenden Stöhnen im Wind schwankten, das an eine Totenklage erinnerte. Auf halbem Weg überfiel sie der Husten, und sie musste sich gegen einen Zaunpfahl lehnen, um wieder zu Atem zu kommen, während der Schnee in Massen vom Himmel fiel, sich körnig in ihren Mantelfalten festsetzte, die Enden ihres Schals und den gefrorenen Saum ihres Kleides weiß färbte. Ihre Nase, die sie sich immer wieder mit dem Handrücken abwischte, war wund. Beide Hände waren gefühllos. Auch ihre Füße spürte sie nicht mehr.
    Trotzdem marschierte sie weiter, redete sich ein, sie mache einen Spaziergang, dachte an die Mädchen - sie waren bei der Haushälterin und taten wahrscheinlich so, als amüsierten sie sich, bestimmt hatten sie längst darum gebettelt, hinausgehen und auf der Auffahrt Schlitten fahren zu dürfen, vielleicht hatten sie sich auch auf die Suche nach ihr, der Mutter, gemacht, um ihre Erlaubnis und ihren Zuspruch einzuholen, und fragten sich nun, wo sie war. (Hat irgend jemand die Mama gesehen? würde Svet fragen und dann mürrisch das ganze Haus absuchen, Küche, Wohnzimmer, Loggia, Schlafzimmer, allerdings würde sie es nicht wagen,

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