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Die Frauen

Die Frauen

Titel: Die Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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bei Frank hereinzuplatzen - das war verboten -, und dann würde sie das Ganze mit einem Schulterzucken abtun, würde ihre Stiefel und Handschuhe anziehen und in den Stall gehen, wo die Schlitten aufbewahrt wurden.) Sie behielt dieses Bild im Kopf, während der Schnee auf den Feldern in die Höhe wuchs, die Landschaft ihre Gestalt verlor und alles nach einer kalten weißen Einheitlichkeit strebte. Sie hatte sich nicht verirrt. Sie konnte sich unmöglich verirrt haben, denn sie kannte diese Straße besser als jede andere Straße auf dieser Welt, da vorne war die Baumgruppe, die den Beginn des Perryschen Grundstücks markierte, bald würde sie auch das Farmhaus sehen und den Rauch riechen, der aus dem Schornstein aufstieg, und wenn es hinter ihr lag, würden sich die Umrisse der Häuser von Spring Green vor den Schneemassen abzuzeichnen beginnen. Sie ging weiter, fühlte sich leicht benommen, fiebrig - bekam sie vielleicht eine Erkältung? -, und als sie hustete, hatte sie tapiokafarbenen Auswurf.
    Sie fand Herbert am Bahnhof, wo er zusammengekauert auf einer Bank unter dem Dachvorspung saß. Er rieb sich die Oberarme, vor sich seinen Koffer, darauf das schmale lederne Flötenetui, auf dem sich der Schnee sammelte. Sie stapfte durch die Schneewehen und dann die Stufen zu ihm hinauf. »Was machen Sie denn da, Herbert?« fragte sie, gegen ihre Absicht ungeduldig. »Sie wollen doch wohl nicht wirklich weg?« Sie hatte sich eine kleine Rede über den unverzichtbaren Beitrag und die Unersetzlichkeit jedes einzelnen Mitglieds der Gemeinschaft von Taliesin zurechtgelegt - Mr. Wright sei auf ihn angewiesen und sie ebenso, aber der Husten krallte sich in ihre Kehle und raubte ihr die Luft.
    »Der Bahnhof ist geschlossen«, sagte er, und im Wind klang seine Stimme traurig und monoton. »Es ist kein Mensch da, das Feuer ist nicht angezündet, nichts. Ich weiß nicht, was die sich denken ...« Er verstummte. Seine Augen waren feucht vor Erregung.
    »Ich bin die ganze Strecke hierher gelaufen«, sagte sie, ihrerseits mit einer schwachen, tonlosen, im Trichter ihres Hustens gefangenen Stimme. »Durch den Schnee«, fügte sie überflüssigerweise noch hinzu, und ihre ausholende Armbewegung schloss die ausgestorbene Straße, die schneebedeckten Gleise, den wabernden Schneesturm ein.
    Sie musste an Georgei in jenem letzten Winter denken, als er den Zirkel in Fontainebleau aufgelöst hatte - mit einem gleichgültigen Schulterzucken hatte er sie damals alle fallenlassen, und das hatte sie mehr verletzt als irgend etwas anderes in ihrem Leben. Unter seiner Anleitung hatten sie gemeinsam etwas erlebt, was sie allein nie hätten erleben können, eine Verbindung, die über das Körperliche und das geistig Erfassbare hinausging: einen Grund zu leben, zu erwachen, ihn zu verehren. Ohne Georgei hatten sie nichts. Das wusste sie. Selbst jetzt noch spürte sie diesen Verlust.
    Und als sie nun auf diesen Jungen hinabschaute, der zitternd auf der Bank saß, wusste sie, dass sie so etwas nicht noch einmal hergeben würde. »Ich bin hierhergelaufen«, wiederholte sie und hustete in ihre Faust, denn das eisige Gift der Luft verätzte ihre Lunge, und die harten Eiskörner schlugen ihr ins Gesicht, »um Sie zurückzuholen.«
    Weihnachten feierten sie in diesem Jahr in Taliesin, und Frank ließ sich von der Festtagsstimmung genauso verzaubern wie die Kinder, sang Weihnachtslieder, warf Schneebälle, fuhr Schlitten, gab sogar mit falschem Bart den Weihnachtsmann, und dann verfrachtete er alle - einschließlich Herbert Mohl, Mrs. Taggertz und Billy Weston samt Familie* - mit Sack und Pack in die Autos, und sie fuhren aus dem Winter in den ewigen Sommer von Chandler, Arizona, wo die Sonne auf den splittrigen Fels knallte und die hundertjährigen Agaven ihre turmhohen Blütenstände aufragen ließen. »Wir haben keine andere Wahl«, hatte er ihr gesagt, »von irgendwas müssen wir schließlich leben«, und die Verheißungen des San-Marcos-in-the-Desert, eines Hotels, das das Biltmore in den Schatten stellen und 75000 Dollar Honorar, wenn nicht mehr, einbringen würde, schimmerten wie eine Fata Morgana am Horizont, weit vor dem offenen Packard, mit dem Frank die kleinen Karawane anführte. {4} Zuerst quartierten sie sich in einem Hotel in Phoenix ein - wieder eine Entwurzelung, wieder Chaos, Leben aus dem Koffer, und Svet und Pussy wirkten so benommen, wie es die Spanier gewesen sein mussten, als sie delirierend und halb verdurstet zum erstenmal in diese

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