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Die freien Amazonen - 3

Die freien Amazonen - 3

Titel: Die freien Amazonen - 3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer-Bradley
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aller Kraft ihr Zittern unterdrückend, hielt sie dem Küken einen Streifen hin. Es fuhr mit seinem kläglichen Wimmern fort und schaukelte sich dabei auf seinen klauenbewehrten Füßen vor und zurück. Gavi ging näher heran und ließ ihm das Fleisch vor der Nase baumeln. Plötzlich duckte sich der Vogel, dass der Bauch dicht über dem Boden war, und öffnete den Schnabel.
    »Da, Dummes.« Gavi ließ den Fleischstreifen in den klaffenden Schnabel des Kükens fallen. »Da ist es. Wer hätte gedacht, dass du von Hand gefüttert werden musst, so ein großes, hässliches Vieh wie du?« Unter normalen Umständen würde natürlich die Banshee-Mutter das Füttern besorgen.
    Das Banshee schlang den Bissen hinunter und nahm von neuem seine Bettelhaltung ein. Kopfschüttelnd gab Gavi ihm noch einen und dann noch einen Streifen. Jetzt zitterte sie nicht mehr, aber sie machte sich Sorgen um ihre Lebensmittelvorräte. Wenn das Küken sich mit allem, was sie hatte, zufrieden gab, griff es sie vielleicht nicht an, aber was sollte sie essen, bevor sie Hilfe erreichte? Und wenn ihre magere Verpflegung nicht genug war, mochte das Küken zu dem Schluss kommen, sie gebe ein feines Dessert ab.
    Das Küken verputzte das ganze Fleisch und dazu noch einiges an Trockenobst und Breimehl. Dann schloss es mit widerhallendem Klappen den Schnabel. Den sichtlich angeschwollenen Bauch immer noch dicht am Boden haltend, watschelte es zu Gavi hinüber. Gavi sagte sich, dass das kein Angriff sein konnte, und zwang sich stillzustehen. Das Daunenkleid des Kükens begann zu trocknen und bauschte sich ihm um Kopf und Hals. Es rieb sich an Gavis Stiefeln und Beinen, und sie kam in Versuchung, die weichen Federn zu berühren.
    Evanda und Avarra, es hält mich für seine Mutter! So abstoßend es für ihre menschlichen Augen sein mochte, auf einen Erwachsenen seiner eigenen Spezies wirkte es sicher liebenswert.
    »Nein! Ich mag dir geholfen haben, aus dieser von Zandru verfluchten Schale herauszukommen, aber ich werde nicht das Kindermädchen oder sonst etwas für dich spielen!«
    Aber das nutzte offensichtlich nichts. Sie hatte es gefüttert und mit ihm geredet, und jetzt hatte es sich an ihrer Körperwärme verankert und rieb sich an ihren Beinen. Banshees haben den Ruf, ebenso dumm wie tödlich zu sein, und der reine Instinkt hatte dem Gehirn dieses Kükens das Bild Gavis als der einzigen Quelle von Nahrung und Liebe eingeprägt.
    »Ich nehme an, das ist noch ein Glück«, sagte Gavi und ging auf die Öffnung der Höhle zu. »Wenn du glaubst, ich sei deine Mutter, wirst du nicht versuchen, mich zu fressen. Hier muss ich nur noch ein bisschen wegräumen. Nein, stoße mich nicht mit deinem Kopf, du dummer Vogel. Du wirst einen Erdrutsch in Gang bringen, der uns beide begräbt. Geh zurück!« Das Küken drängte sich an ihr vorbei.
    Sie fasste es mit beiden Händen um den dicken Hals. Die Daunen sahen flaumig aus, waren aber mit einer klebrigen Schicht bedeckt.
    Als sie ihn berührte, beruhigte sich der Vogel sofort und fing wieder mit seinem zärtlichen Summen an.

    »Halt den Mund. Komm mir nicht dauernd in den Weg, dann werden wir beide bald frei sein, ich auf dem Weg nach Thendara, wo jede vernünftige Frau im Winter sein möchte, und du irgendwo anders, so hoch oben und so weit entfernt von mir, wie du es schaffen kannst. Verstanden?« Das Banshee-Küken rieb seinen Kopf an ihrer Hüfte und verstärkte sein hingebungsvolles Summen.
    Gavi zog sich durch das Loch und stellte mit einiger Verzweiflung fest, dass sie es reichlich groß für das Küken gemacht hatte. Während es sich zappelnd und Flügel schlagend durch die Öffnung wand, stand sie auf und sah sich um. Auf dem Neuschnee war kein Zeichen von ihrem chervine zu sehen, aber sie entdeckte auch keine Spuren ihrer Verfolger. Die rote Sonne hatte sich ein gutes Stück auf den Horizont niedergesenkt.
    Gavi zog die Sachen wieder an, die sie beim Graben abgelegt hatte.
    Ihr blieb immer noch etwas Zeit bis zum Dunkelwerden, und sie wollte nichts davon verschwenden. Mit dem Abend würden eine tödliche Kälte und jagende Banshees kommen, wenn sie dann nicht schon unterhalb der Baumgrenze war. Sie orientierte sich, so gut es ging, nach dem Stand der Sonne und der Neigung der Bergflanke und begann mit dem Abstieg. Das Küken flatterte mit verzweifelten Jammerlauten hinter ihr her.
    »Oh, hör auf. Ich bin nicht deine Mutter. Wirf mir bloß nicht vor, ich sei ein herzloses Ungeheuer, das dich im Stich

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