Die Freifliegerin Ein Hexenthriller (German Edition)
Tierschutzhauses
umher und suchte nach den Katzengesichtern, die sie in ihrer Vision gesehen
hatte. Bis sie endlich beide im selben Käfig sah: Zwei etwa drei Monate alte
Jungkätzchen, die das Gitter hinaufkletterten und schreiend versuchten, auf
sich aufmerksam zu machen. Das waren also ihre beiden Gefährten an Kindes
statt, das wusste sie jetzt! Doch als sie bereits mit dem Tierwärter und den
beiden Katzen zum Tierarzt des Hauses gingen, wo sie vor ihrer Abgabe noch
einmal untersucht werden sollten, kam Miriam auch bei den herrenlosen Hunden
vorbei, und da sah sie, in einem der unzähligen nebeneinandergereihten
Hundekäfigen, eine Schäferhündin, die sie nur traurig anblickte, während die
meisten anderen Hunde mit ohrenbetäubendem Lärm wild durcheinander bellten. Das
war Lila, die damals noch Senta hieß und deren Herrchen vor einigen Wochen
verstorben war. Miriam hofft nur, dass ihre Katzen und Gefährten dieses
Abenteuer ohne Schaden überstehen können.
Plötzlich reißt der Teufl sie
aus ihren Gedanken:
„Miriam, schau mal, da unten!
Sind das Gämsen?“
Doch was sich ein paar Hundert
Meter unter ihnen als sich bewegende kleine Punkte abzeichnet, sind keine
Wildziegen, sondern eine Gruppe von Menschen, die sich in die Höhe kämpfen.
18
Fast zweihundert Menschen sind
zum Begräbnis der kleinen Else und ihres Vaters, des Karner Bauern gekommen.
Der Pfarrer Teufl indes ist unauffindbar, weswegen man sich um einen Pfarrer
aus einer der Nachbargemeinden kümmern musste. Der Karner Alois ist nicht beim
Begräbnis seines Bruders und seiner Nichte anwesend. Niemand hier kann das
verstehen.
Aber noch jemand fehlt bei
diesem Begräbnis: Kathi liegt zu Hause in ihrem Bett unter ihren MP3-Kopfhörern
und hofft, dass der heutige Tag nur bald vergehen möge. Im Nebenzimmer Verena,
ein älteres Mädchen, das auf sie achtgeben soll. Kathi hat den MP3-Player auf
volle Lautstärke gedreht, so dass sogar Verena durch die Tür das Gezischel
deutlich hören kann. Ständig schaut Kathi auf die Uhr, denn sie weiß, dass das
Begräbnis jeden Moment beginnen wird.
Vielleicht ist sie ja doch
keine Junghexe. Die Begegnung mit einer echten Hagazussa jedenfalls hat ihr nur
Pech gebracht, hat ihr die beste Freundin genommen. Aber natürlich war das ihre
eigene Schuld.
Und jetzt will sie einfach
diese Musik des Todes nicht hören. Aus ihren Kopfhörern dringt Musik in beinah
abartiger Lautstärke. Kathi hat zusätzlich noch die Bettdecke über den Kopf
gezogen. Jetzt ist es soweit, das Begräbnis der Else hat begonnen!
Der Gravogl steht steinern in
der Kapelle neben seiner Frau, daneben Gerstl und seine ganze Familie, vorn die
zwei Särge, ein großer und ein kleinerer. Der Pfarrer betet mit den Trauernden
das Vaterunser.
Nach der Messe in der kleinen
Kapelle werden die Särge zum Grab getragen. Junge dirnitzer Männer tragen die
Särge, wieder fängt es zu nieseln an. Die Blaskapelle beginnt zu spielen. Sie
spielt den Trauermarsch in a-Moll von Mendelssohn Bartholdy. Gravogl hat früher
selbst einmal in einer Blaskapelle Klarinette gespielt. Er hört, dass die Töne
schlecht intoniert sind und die Musik falsch klingt. Doch das interessiert
offenbar sonst niemanden. Jeder hier gibt sich Mühe, dem Nicht-Fassbaren auf
seine Weise zu begegnen:
Anna neben ihm weint, nicht
zuletzt auch, weil sie Elses Taufpatin ist, und weil sie an ihr eigenes Kind
denken muss, das nur knapp an einem ähnlichen Schicksal vorbeigeschrammt ist.
In ihrer Faust eine zusammengepresste Kugel aus nassen Papiertaschentüchern.
Gerstl, seinem Schwager, geht
es nicht viel besser als Anna: auch ihm zittert unkontrolliert das Kinn und er
hat Mühe, die Tränen zu unterdrücken.
Frau Tröstl setzt langsam einen
Schritt vor den anderen und schüttelt immer wieder ungläubig den Kopf, während
sie leise zu ihrem Herrgott spricht.
Christl, des Karners
Haushälterin, geht unter einem schwarzen Kopftuch mit leichenblassem Gesicht
und geröteten Augen in der letzten Reihe. Von ihr weiß man, dass sie dem Karner
Bauern bis zum letzten Tag in unerfüllter Liebe ergeben war.
Die Totengräber ganz hinten
rauchen.
Der Pfarrer vorne trägt das
Kruzifix und hat den Blick zum Boden gesenkt. So ziehen sie die hundert Meter
hin bis zum Erdloch, das man für die Toten ausgehoben hat.
An niemandem hier geht dieses
Begräbnis ohne Spuren vorbei. Nie mehr, so scheint es, wird alles so sein, wie es
früher einmal war. Dirnitz hat vom Baum der Erkenntnis genascht.
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