Die Freifliegerin Ein Hexenthriller (German Edition)
wieder Recht und Ordnung herzustellen. Zudem war Else seine Nichte
und der Karner Bauer sein Bruder. Er ist also auch voller Trauer und Zorn. Und
das macht ihn sehr gefährlich.
„Also, wo ist die Miriam?“
Keine Antwort.
„Dann ab mit ihm!“
Karners Kollege drückt Boris
zur Tür hinaus. Zu Fuß müssen sie im Nieselregen eine halbe Stunde über
Saumpfade und Karrenwege laufen, bis sie zur Forststraße kommen, wo der
Polizeiwagen mit einem dritten Beamten wartet. Boris ist froh, dass keiner von
den beiden Dummköpfen auf die Idee gekommen ist, die Alm weiter oben
abzusuchen. Rumpelnd bahnt sich der Polizeiwagen seinen Weg nach unten, wo
Boris verhört werden soll.
Man hat ihm bereits bei der
Verhaftung alles abgenommen: Geldbörse, Handy, Zigaretten und Feuerzeug. In der
Wachstube muss er nun auch noch Schuhriemen und Gürtel ablegen.
Ein Telefongespräch wird ihm
gestattet, und er schafft es sogar, den Rechtsanwalt unbemerkt zu bitten, dass
er, ehe er herkommt, noch dem Tierschutzverein mitteilt, wo sich die zwei
Katzen befinden, und dass sie die Tiere so bald wie möglich abholen sollen. Es
wäre eine Katastrophe, wenn Igor und Wotan dort oben verhungern müssten.
Doch zu seinem Entsetzen
entgegnet der Anwalt, dass der Tierschutzverein nur im Beisein der Polizei in
ein verschlossenes Gebäude, welcher Art auch immer, eindringen und Tiere
mitnehmen darf. Nun sind die Katzen also doch in Gefahr, in dieser vergammelten
Almhütte dort oben Hunger zu leiden!
Boris wird in eine Arrestzelle
geführt, wo er auf seine weitere Einvernahme warten muss.
16
Gravogl sitzt am Schreibtisch
seiner Tierarztpraxis. Es ist schon kurz vor Ordinationsschluss, im Warteraum
scheint niemand mehr zu sein. Er macht die Runde, sperrt alle Türen ab,
desinfiziert den Ordinationstisch, räumt die Instrumente auf ihren Platz.
Sorgen macht er sich. Um seine
Kathi. Seit zwei Tagen schon hat sie nichts mehr gegessen. Sie will nicht
aufstehen und fürchtet sich vor dem heutigen Begräbnis ihrer Freundin Else, das
in einer Stunde am Dorffriedhof stattfinden soll. Sie will die Musik nicht
hören. Sie hat Angst vor der Blaskapelle und ihrer Musik des Todes , sagt
sie. Dauernd spricht sie jetzt nur mehr davon. Und sie wird sich die Ohren
zuhalten müssen, auch wenn sie, aus Rücksicht auf ihren Gesundheitszustand,
selbst nicht zum Begräbnis geht, denn der dirnitzer Friedhof liegt gleich
hinter ihrem Haus.
Außerdem ist ihm zu Ohren
gekommen, dass der Pfarrer Teufl aus unbekannten Gründen nicht auffindbar sei.
Es steht also noch offen, wer heute Nachmittag die Else und den Karner ins Grab
geleiten wird.
Seit über fünfzig Jahren lebt
der Tierarzt jetzt schon hier. Auf einem dirnitzer Bauernhof ist er
aufgewachsen, hier, in Dirnitz, hat er Anna, Gerstls Schwester, geheiratet, und
hier haben sie ihre zwei Kinder aufgezogen. In der ganzen Zeit ist so gut wie
nichts passiert. Dieser versteckte Ort Dirnitz galt bislang für die
Einheimischen selbst als Paradies, als Bollwerk gegen den Lärm und Gestank der
restlichen Welt. Und jetzt, auf einmal gibt, es eine Rinderseuche, es sterben
ein Kind und dessen Vater, Katzen werden erschlagen, ein Wohnwagen und ein Auto
werden angezündet, der Pfarrer und auch die Hagazussa sind spurlos
verschwunden, Christl, des Karners Haushälterin, hat nach ihrer Entdeckung
einen Nervenzusammenbruch erlitten, und seine eigene kleine Kathi liegt krank im
Bett, verweigert die Nahrungsaufnahme und heult sich die Augen nach ihrer
verstorbenen Freundin aus.
Und irgendwie fühlt sich der
Gravogl verantwortlich für dieses Chaos!
Dieses Gefühl kann er nicht
mehr abschütteln. War er es nicht, der diese Hexe hier her gebeten hat, damit
sie ihm hilft, diese dumme Rinderkrankheit zu heilen und zu vertuschen? Wäre es
nicht von Anfang an viel besser gewesen, die Seuche einfach der Behörde zu
melden? Denn - welche Ironie - heute früh hat er folgenden Artikel in der Zeitung
gelesen:
Skandal um Rinderseuche! Absprache
von Pharmakonzern mit Wissenschaftlern und Medien.
Der bekannte Pharmakonzern Gigatab hat gestern nach polizeilichen Erhebungen und einer Razzia in New York
zugegeben, gekaufte Meldungen über die Virulenz einer harmlosen Rinderkrankheit
in die Welt gesetzt zu haben. Wie der Pressesprecher der Firma heute mitteilte,
sei der Aufsichtsratsvorsitzende Harold de Lind nach seiner Verhaftung sofort
all seiner Ämter enthoben worden. Er soll ein renommiertes amerikanisches
Wissenschaftlerteam dazu
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