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Die Frequenzen

Die Frequenzen

Titel: Die Frequenzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens J. Setz
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zu.
    Mit feierlichen Bewegungen begann Valerie die Autopsiean ihrer Forelle. Als die milchig weiße Wirbelsäule mitsamt dem entsetzten Fischkopf von ihrer Gabel baumelte, fiel ihr ein, was sie hatte erzählen wollen:
    – Ah, genau …
    Ein ausgestreckter Zeigefinger bereitete die Rede vor. Valerie kaute zu Ende, dann erzählte sie mir, dass sie gerade eine Studie gelesen habe, die Krankengeschichte eines Mannes, der behauptet, dass die Zeit für ein ganzes Monat stehen geblieben sei. Er allein sei davon verschont geblieben. Und genau in der Sekunde des Stillstands sei ein mehrstöckiges Gebäude eingestürzt.
    – Das Gebäude ist übrigens wirklich eingestürzt, sagte Valerie kauend. Man vermutet, dass das der Auslöser für sein Trauma gewesen sein könnte.
    Die obersten Stockwerke des Gebäudes seien bereits eine Rauchwolke aus Schutt und Zementstaub gewesen, aber im Café im Erdgeschoss habe man noch gefahrlos sitzen und Zeitung lesen können, so der Patient. Jeden Tag in dem Monat, die ganze Zeit (die freilich gar keine Zeit mehr gewesen sei) sei er dort unten gesessen, auf einem ewig unverrückbaren Sonnenplätzchen unterhalb des Damokles-Schwerts der Stockwerke, die in einer großen, majestätisch stillstehenden Pilzwucherung darauf gewartet hätten, endlich auf ihn herabstürzen zu dürfen. Er habe gebetet, dass das Gebäude diesem Drang nachgeben möge, aber nichts geschah. Als man den Mann fand, fiel er jedem um den Hals, berührte alle möglichen Gegenstände, als wären sie Objekte von hoher erotischer Anziehungskraft, und freute sich kindisch über die hin und her pendelnde Krawatte seines auf paranoide Zwangsvorstellungen spezialisierten Psychiaters. Von dem stammte auch der Bericht, der in Fachkreisen einiges Aufsehen erregt hatte.
    Wieder läutete ein Telefon. Diesmal meines.
    Lydia. Ich wandte mich etwas ab.
    – Hallo?
    – Bist du noch lange weg? Weil, ich bin bei dir zuhause und wollte nur fragen, wann du –
    – Ja, sagte ich mit gedämpfter Stimme, also, wir sitzen hier noch ein wenig.
    – Ach so, ich verstehe schon. Du kannst jetzt nicht reden, oder?
    – Nein.
    – Ich versteh schon. Du brauchst auch nur Ja oder Nein zu sagen, ich stell die Fragen einfach so.
    – Kann ich dich vielleicht später anrufen?
    – Ich –
    – Ich kann jetzt nicht reden.
    – Aber wie lange?
    – Hör zu. Kann ich dich später –
    – Aber wann?
    – Ich weiß nicht, das kann ich jetzt noch nicht sagen. Einfach später.
    – Okay.
    – Aber es wird sicher noch dauern. Warte nicht darauf.
    Sie schwieg eine Weile, dann begann sie, etwas leiser, von Neuem:
    – Ich bin nicht dumm. Ich weiß, dass du jetzt nicht offen reden kannst, aber ich muss dich wirklich etwas Wichtiges fragen und du brauchst auch nur mit Ja oder Nein zu antworten.
    – Geht es nicht etwas später?
    – Es geht ganz schnell, versprochen.
    – Weißt du was, ich rufe dich in einer Viertelstunde noch mal an. Bist du so lange noch wach?
    Als hätte sie einen Grund, in meiner Wohnung zu übernachten. Was machte sie überhaupt bei mir zuhause?
    – Ja.
    – Also, dann bis später, sagte ich, es geht jetzt im Augenblick wirklich nicht.
    – In einer Viertelstunde bin ich bestimmt noch wach.
    – Also dann.
    – So früh geh ich ja sonst auch nicht schlafen.
    Dann legte sie auf. Oder die Verbindung wurde von höheren Mächten, die endlich ein Einsehen hatten, getrennt. Valerie hatte sich, während ich telefonierte, mit ihrem Schlüsselbund beschäftigt. Sie hatte ihn aus der Handtasche geholt, spielte damit und ließ ihn klingeln. Als ich das Telefon von meinem Ohr löste und es einen Augenblick ungläubig anschaute, ließ sie die Schlüssel auf den Boden fallen. Ich bückte mich danach.
    – Dankeschön, sagte sie und deutete auf das Telefon in meiner Hand. Deine Freundin?
    – Eine Freundin, ja, sagte ich.
    – Eine von vielen?, fragte sie verschwörerisch.
    – Sehr viele, natürlich.
    – Übrigens, ich habe zwei Karten für die
Zauberflöte
, sagte Valerie. Übermorgen um acht. Magst du?
    Zuhause war ich immer noch so aufgeregt, dass ich mir im Internet zur Entspannung wackelige UFO-Videos anschaute. Valerie hatte die ganzen fünfundsiebzig Minuten unseres Zusammenseins mit mir geredet, war niemals aufgestanden und aus dem Raum gerannt. Kein einziges Mal. Kein einziges Mal! Sie genoss es also, mit mir zusammen zu sein. Ich war mehr als ein Abenteuer. Diese wunderbare Einsicht! Gott, ich hatte Lust, sie dafür hemmungslos zu ficken.
    Der

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