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Die Frequenzen

Die Frequenzen

Titel: Die Frequenzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens J. Setz
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untere Stockwerk gehört, und Herr Sedlatschek vor einem Schachbrett sitzen. Figuren befinden sich nur wenige darauf, nicht einmal die beiden Könige, aber dafür redet Herr Sedlatschek ohne Pause auf seinen Besucher ein, derihn währenddessen nicht einmal ansieht. Das Licht eines frühen Tages fällt schräg und leicht gekrümmt durch die Fenster. Ein leerer Vogelkäfig lehnt in einer Ecke und wartet darauf, dass ihn endlich jemand repariert, die quietschende Tür, die nicht mehr richtig schließt. Auch Bilder gibt es, echte Gemälde, die an den Wänden hängen als Fenster in eine albtraumhaft erstarrte Welt voller Heuwagen, Sonnenuntergänge und verwitterter Jägerhochsitze. Es gibt jede Menge leerer Sessel und ein ständig zugeklapptes Klavier, es gibt tief fliegende Lampions, die einzigen Lichtquellen bei Nacht, es gibt Blumentöpfe, die große, wirre Gewächse gebären, und an der linken Wand, unter einem Bücherbord, steht ein buntes, breitschultriges Sofa, das in einsamen Stunden manchmal so tut, als wäre es eine riesige Mehlspeise mit Schokoladenglasur.
    Ich spähe auf den Gang. Niemand da. Keine Spur von Max.
    Nur ein kleines Feuerwerk diesmal, ein wenig Beschäftigung, gerade so viel, dass sie für einen Augenblick aus der Vorhölle herauskommen. Außerdem brauche ich etwas, in das ich die negativen Schwingungen der nervösen Frau Lorca verwandeln kann. Lauthals singen oder fluchen ist ja nicht erlaubt.
    Zur Sicherheit nehme ich meine beiden Telefone aus den Taschen und lege sie auf den Schuhschrank vor der Tür zum Aufenthaltsraum. Mit Anlauf? Ich bin kein Stuntman, aber warum eigentlich nicht. Herrn Sedlatscheks quakende Stimme wird ein wenig lauter, vermutlich redet er von steigenden Preisen und Politikern, deren Namen er nicht einmal richtig ausspricht, die er aber trotz allem abgrundtief hasst.
    Fertig. Das linke Knie schonen. Aufprall mit dem rechten.
    Der leere Vogelkäfig blinkt, das Startsignal.
    Fertig. Los.
    – … und sag ich natürlich bist du eigentlich noch ein Mensch der sich einfach alles mit einem erlauben darf weil wie Sie ja wissen ist mein Sohn also mein Sohn hat sich vorher überhaupt nie irgendwo schlecht aufgeführt weil er auch nie etwas getrunken hat aber seit seine Frau seine Freundin besser gesagt ihm dieses Kind in die Welt … Ja, was –
    Meine Hand rutscht an Herrn Sedlatscheks Schulter ab wie an einem glitschigen Felsvorsprung. Als hätte ich einen Lichtschalter berührt, flackern seine Augen auf, wie ich im Fallen gerade noch sehen kann.
    – Aah!
    Ich donnere auf zwei leere Stühle, sie kippen um, werden von meinem Gewicht mitgerissen, mein Knie (das linke, das linke!) schlägt brüllend am Boden auf, ich wimmere auf und die Männer hinter mir reden wirr durcheinander.
    Ich bleibe regungslos zwischen den Stühlen liegen. Meinem Bein erlaube ich ein, zwei filmreife Zuckungen. In der Peripherie meines Gesichtsfeldes sehe ich die aufgeregten, scheuen Bewegungen der beiden alten Männer. Herr Sedlatschek wiederholt es immer wieder,
gefallen, hingefallen, gestürzt
, in überraschenden Permutationen. Sein Gesprächspartner, ich hätte es wissen müssen, ist einer der Sprachbehinderten von unten, einer von den Reha-Robotern, nicht ein einziges biegsames Gelenk im Körper.
    Es dauert eine Zeit, bis sie sich aus dem Raum bewegt haben. Natürlich gehen sie wie kleine Kinder die Schwester holen. Sehr gut. Keine erste Hilfe. Kein Ansprechen, kein Rütteln, nicht einmal ein heiserer Hilferuf. Ich werdeihnen heute Abend keinen Zucker auf den Brei geben, zumindest nicht so viel Zucker, wie sie sich wünschen. Und ich werde reinspucken. Feiglinge. Nur Glück, dass ich heute Abend gar nicht Dienst habe.
    Als Herr Sedlatschek (alleine, die Mumie aus dem zweiten Stock hat sich verkrochen) mit einer Schwester zurückkommt, stehe ich schon wieder aufrecht, lächle über mein kleines Missgeschick, halte mir mein Knie, das bei einer kleinen Bewegung unangenehm knackt, und sage:
    – Nichts passiert. Bin nur gestolpert …
    – Er war ja bewusstlos!, protestiert Herr Sedlatschek plötzlich sehr laut mit scharf betontem S.
    Die Schwester beugt sich zu ihm hinunter:
    – Scheint ihm aber nichts passiert zu sein, Herr Sedlatschek.
    – Total weg …
    Herr Sedlatschek sieht zwischen der Schwester und mir hin und her. Sein Blick verfinstert sich.
    – Ich bin nur gestolpert und hab mir das Knie gestoßen.
    Ich hüpfe ein wenig.
    – Ist … ist … einfach liegen geblieben, sagt Herr Sedlatschek

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