Die Frequenzen
Joghurtbecher.
Weiße Masse. Creme.
Es war nichts gewesen. Alles nur Vorstellung.
In Wirklichkeit bin ich immer hier herumgesessen. Nichts hat sich verändert. Der Uhrzeiger ist stehen geblieben und auch die nächtlich unsichtbaren Wolken über den Dächern der Stadt.
Tropf, tropf.
Der bläuliche Widerschein des Fernsehers auf dem Weiß des Joghurts. Fernsehstrahlung. Strahlung, die allesdurchdringt. Wie nannte man diese Strahlen? Irgendetwas wie
katholisch
. Katholenstrahlen.
Ich steckte den Löffel in den Mund, leckte Joghurt, Metall und Strahlung auf.
Im Fernsehen lief
WWF-Wrestling
. Für die einen ist WWF ein Verein, der die Veranstaltung von Profischaukämpfen organisiert, für die anderen eine Tierschutzorganisation. Die Welt zerfällt in diese beiden Kategorien. Wer in beiden zuhause ist, ist wahnsinnig.
Das zugige Treppenhaus kam mir in den Sinn, die inzwischen getrockneten Pissspuren. Die Staubmäuse, die sich schwarz und schwärzer färbten unter meinem gebogenen Urinstrahl. Ich bin hier. Sieh mich an. Briefschlitz: Einblick in die fremde Welt. Ein Kleiderständer. Ein weißes Kind, das durch die Wohnung läuft, auf der Suche nach seiner Mutter. Geisterkind.
Andre The Giant
stapfte großpfotig und träge durch den Ring. Ein Mann, der an Riesenwuchs oder etwas Ähnlichem litt. Irgendeine Krankheit mit einem komplizierten Namen. Inzwischen war er längst tot. Historische Aufnahmen. Er tapste ein paar Schritte, kam beinahe ins Laufen, ließ sich in die Seile des Rings fallen, federte zurück, rannte direkt in den ausgestreckten Arm seines Gegners. Der Riese, gefällt, lag auf dem Rücken und streckte seine Beine in die Höhe. Der Anblick war so erbärmlich, dass ich erwog umzuschalten, aber das Joghurt war noch nicht aufgegessen, also schaute ich mir den Kampf bis zum Ende an.
Andre The Giant
besiegte seinen Gegner schließlich und stolzierte unendlich müde, ein betäubter Orang-Utan, durch den Ring, einen albernen, silbrig blinkenden Meistergürtel hochhaltend. Blitze zuckten durch die Zuschauerreihen, jeder schoss in diesem Augenblick ein Foto.
Der schwerfällige Riese rollte aus dem Ring, stapfte an seinen Fans vorbei, die über die Metallabsperrungen hinweg ihre dünnen Hände nach ihm ausstreckten. So ein riesiges Gesicht. Gigantisches Kinn. Dabei eine kurze und knappe Stirn, wie bei einem Höhlenmenschen.
Parkende Autos
Messerschmidt glitt durch die Autos, die ordentlich in einer Reihe auf dem Parkplatz standen, als bewachten sie das Ende einer Zivilisation.
In einem der Autos war ein Wurf Katzen auf die Welt gekommen, die jetzt auf dem Schlossberg wohnten.
In einem anderen war ein Kind mit einer Bassflöte, die viel zu groß war für seine Finger, zu einer Schulaufführung gefahren worden; der schlimmste Abend seines noch jungen Lebens.
Die Rückbank eines anderen silbergrauen Wagens vibrierte immer noch von den heftigen Hüftstößen, die ein betrunkener glatzköpfiger Altenpfleger über seiner Kollegin mit dem rätselhaften Namen
Solveig
ausgeführt hatte; im Augenblick des Orgasmus hatte er einen heftigen Weinkrampf bekommen (
Ma… Ma… Martinaah-ha-ha-haahh …
) und ihr erzählt, sein bisheriges Leben sei eine einzige unausgesprochene Beichte, worauf sie sich keinen besseren Rat gewusst hatte, als sich an seine drahtig-verkrampfte Turnerschulter zu klammern (
Aber Max, nicht doch … nicht weinen … wird schon wieder …
) und ihn zu fragen, ob er sie vielleicht heiraten wolle – und ihr Herz spürte einen angenehm sanften Ruck, denn nun würde sie endlich ihren albernen Nachnamen loswerden, den alle Welt so schick fand.
Ein kleiner, roter VW war bis obenhin voll Platzangst. Messerschmidt schnürte es beinahe die Kehle zu, als er daran vorbeiging, denn es war jene Spielart von Angst, in der ein Mensch zu allem fähig ist, sogar auf sein brennendes Haus zurückzuschauen und sich vorzustellen, wie gerade alle verbrannten: seine Frau, seine Großmutter imDachzimmer und sein Sohn, der im Rollstuhl saß und sich einbildete, das nächste Jahr noch zu erleben; zuviel ist zuviel.
Ein Mercedes, an manchen Stellen unheilbar zerkratzt. Ein eifersüchtiger Ex-Ehemann hatte mit seinem Wohnungsschlüssel, der nicht mehr sperrte, weil das Schloss ausgetauscht worden war, einen kleinen Eiskunstlauf vollführt, eine lange, elegante Gerade, die an Geschwindigkeit zunahm, dann eine Pirouette um das Schlüsselloch. Sie hatte ihn auf frischer Tat ertappt, und sie hatten sich beschimpft und
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