Die Frequenzen
bespuckt, und hinterher waren sie zusammen ins Gras gesunken, weinend und wild, verwegene Entschuldigungen zischend. Beide hatten sie im selben Augenblick daran gedacht, den anderen zu ermorden, und der Drang, es zu tun, hatte sich aufgelöst.
Ein völlig verfallener Wagen mit unbestimmbarem Baujahr. Er hatte viel gesehen. Zum Beispiel eine Tour in den Süden, ohne Geld, ohne Papiere. Einfach so drauflos. Dann wurde jemandem schlecht, dem jüngsten, der gerade erst die Matura hinter sich hatte, er erbrach sich mitten auf der Autobahn, direkt auf das große YU, das von einem X aus Klebestreifen durchgestrichen war.
Messerschmidt versuchte ein wenig schneller zu gehen, denn die Hündin schien unruhig, und vielleicht würde sie wieder fortlaufen und er bliebe hier hängen, in diesem zähen Gelee aus Zusammenhängen.
Das Auto eines Zahnarztes. Sein Leben war vorbei, schon seit dreizehn Jahren. Er hasste seine Familie, seine Arbeit, sein Gesicht beim Rasieren am Morgen. Er hasste seine Patienten, die mit offenem Maul auf seinem Stuhl saßen. Er hasste auch den Stuhl. Er hasste die Instrumente, mit denen er anderen Menschen wehtun musste. Er vermutete, das wäre die Hauptursache für seine Verzweiflung.(Messerschmidt wollte den Rest gar nicht wissen, er versuchte, sich loszureißen, aber er steckte fest.) Seine natürliche Unfähigkeit, anderen Leuten Schaden zuzufügen. Ein Defekt, mit dem er geboren worden war und der nun sein Leben vergiftete. Er musste seine Kinder anschreien, er musste seiner leichtsinnigen Frau verbieten, sein schwer verdientes Geld für jeden hirnlosen Unsinn auszugeben, er musste sie zum Weinen bringen. Und er musste Betäubungsmittel verabreichen, in die Wange oder direkt ins Zahnfleisch, damit die Leute nicht merkten, wie sehr er ihnen wehtat.
Der Wagen einer Lehrerin. Sie löste gerne Kreuzworträtsel, in denen lateinische Begriffe vorkamen. Und in der Windschutzscheibe hing ein Affe mit Saugnäpfen auf Pfoten und Lippen. Das war alles. Mehr gab es nicht. Sie war vollkommen leer.
Das war die Chance – Messerschmidt löste sich. Lange genug hatte es gedauert, aber nun war das Ende da. Er spürte, wie Wärme in ihm aufstieg. Er hörte weit entferntes Trommeln und wusste, dass ihm nicht viel Zeit blieb.
Ein an mehreren Stellen vollkommen durchgerostetes Fahrrad brachte ein wenig Abkühlung (die Lenkstange hatte dermaßen viele Löcher, dass der Wind darauf am Abend manchmal Flöte spielte). Es stand seit Jahrzehnten hier herum, ohne dass es von seinem Besitzer je abgeholt worden wäre. Messerschmidt genoss die Stille, die von dem Rad ausging. Bald würde diese Stille ganz ihm gehören.
Aber noch nicht jetzt.
Da der Hürdenlauf nun hinter ihm lag, konnte er sich endlich ganz der Hündin widmen. Aber die schien ihn gar nicht bemerkt zu haben, sondern schaute einfach an ihm vorbei. Er drehte sich um. Häuserfronten, Fenster, Fernsehantennen.Was war da? Was hatte sie entdeckt? Ihr Blick ging hin und her, sie suchte irgendwas. Noch hatte sie es nicht gefunden. Aber es war nicht er, nach dem sie suchte.
Spiel
Ein kühler Luftzug weht über das Spielfeld. Mein Körper ist erhitzt, trotz der abendlichen Frische, meine Beine zittern vor Anspannung und Nervosität, meine Handflächen schwitzen, mein Nacken, meine Fußsohlen, mein Kinn. Meine Sportkleidung sitzt nicht richtig und ich hinterlasse peinlich winzige Fußabdrücke, wie die Spuren eines Fuchses auf der Flucht.
Der Arzt steht ein paar Meter (oder
Yards
?) entfernt und macht rätselhafte Zeichen mit der freien Hand, seltsam somnambule Gesten, so wie die eines schlafenden Gehörlosen, der in Gebärdensprache träumt. Ein großer, bleicher Wurfball liegt in seiner anderen Hand, rund und bereit. Eine apfelgroße Miniatur des Mondes. Ich trete unsicher von einem Fuß auf den anderen. Ich möchte es nicht zugeben, aber ich hoffe, dass er an meiner Körpersprache sieht, wie unbehaglich diese ganze Situation für mich ist, wie sehr ich leide. Ich will, dass er Mitleid mit mir bekommt und mich schonend behandelt. Aber dafür steht er viel zu weit weg. Er lässt den Ball in seiner Hand hüpfen.
Er beginnt, mir den Ball zuzuspielen:
– Wir haben eine leichte Schädelfraktur feststellen können … die zu einer Blutung hier …
Wieder das seltsame Gestikulieren. Sein Zeigefinger ist so winzig klein. Ich muss mich sehr anstrengen, ihn nicht aus den Augen zu verlieren. Er deutet auf eine schwarze Fensterscheibe, auf der eine Art dreidimensionaler
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