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Die Frequenzen

Die Frequenzen

Titel: Die Frequenzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens J. Setz
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treffen.
    Nachdem sie aufgelegt hatte, schrie ich ins Telefon:
    – Du bist tot, verdammt noch mal tot! Ihr alle seid tot!
    Ich gab der Frau, auf deren Kopf ein großer Albinosonnenhut saß, die Hand, sagte aber noch nichts. Ich setzte mich, lehnte mich zurück und schlug die Beine übereinander.
    – Guten Tag, sagte sie.
    Klassische Gesprächseröffnung. Bauer auf e4.
    – Guten Tag, parierte ich.
    Bauer auf d5.
    – Wie geht es Ihnen?
    – Gut, danke. Und Ihnen?
    – Den frohen Umständen entsprechend, sagte sie und deutete seltsamerweise auf ihren Hut.
    – Schön.
    – Wenn Sie, ich meine, nur für den Fall, dass Sie etwas trinken wollen –
    – Nein, lieber nicht –
    – Das ginge dann selbstverständlich auf meine Rechnung.
    – Ach so, aha.
    – Ja.
    – Ja.
    – Ich meine nur, falls Sie –
    – Ja, sicher. Danke.
    Stille.
Un ange passa
, ein Engel ging vorüber, stolperte und fiel hin.
    – Und, was machen Sie so?
    – Ach, nichts Besonderes. Ich sitze hier mit Ihnen auf der Straße.
    – Auf der … Sollen wir lieber drinnen … vielleicht, wenn Sie –
    – Nein, schon in Ordnung. Ich bin flexibel. Eine Eigenschaft, die ich geerbt habe, wissen Sie.
    – Oh.
    – Ganz genau.
Oh
.
    – Ich …
    Sie suchte etwas in ihrer Handtasche. Ich kam ihr zuvor:
    – Wie lange wissen Sie es schon?
    – Bitte?
    – Dass Ihr zukünftiger Ehemann einen Sohn hat, wie lange wissen Sie das?
    – Ach, ich … ich weiß nicht genau … Aber es ist doch verständlich, dass ich Sie da …
    –
Verständlich
, sicher, ja.
    Ich stand auf, streckte meine Arme aus, als wäre ich gerade erst erwacht.
    – Gehen Sie schon?, fragte sie.
    – Aber ja, natürlich.
    – Warum denn?
    – Sie wollten mich doch sehen, das stand in Ihrem Brief. Und jetzt haben Sie mich gesehen, oder? War bestimmt nicht so schlimm, wie Sie befürchtet haben.
    – Überhaupt nicht, nein. Aber bitte setzen Sie sich wieder, ich –
    – Sie haben mir diesen verdammten Brief geschickt und darum gebeten, mich zu sehen. Das war doch alles, oder?
    – Regen Sie sich bitte nicht auf, ich weiß, dass Sie –
    – Sie wissen?
    – Nein, ich …
    Ich setzte mich wieder hin.
    – Sie wissen also, dass ich. Gut. Das möchte ich nun doch gerne hören.
Was
genau wissen Sie?
    – Entschuldigen Sie, sagte sie, ich wollte Sie nicht beleidigen.
    – Den Satz können Sie sich sparen. Wir kennen uns nicht einmal gut genug, dass Sie mich beleidigen könnten.
    Sie blickte betroffen. Ihr weißer Hut fühlte sich unwohl und musste zurechtgerückt werden.
    – Wissen Sie, wenn Sie mir nicht sagen wollen, was er Ihnen angetan hat, muss ich doch davon ausgehen, dass gar nichts war.
    – Ja, müssen Sie vermutlich. Und jetzt lassen Sie mich in Ruhe.
    Ich starrte auf den großen, albernen Hut. Der Wind strich über meine Wange.
Lausbub
. Dann tauchte eine große Boeing 747 aus den Wolken herab und landete direkt auf dem Hut. Die Frau kratzte sich auf der Stirn und sagte:
    – Ich … ich verstehe zwar, dass das für Sie sehr unangenehm sein muss, aber ich verstehe diese Feindseligkeit nicht, ich meine … da muss doch irgendwas passiert sein.
    – Ja, aber das werde ich
Ihnen
nicht erzählen.
    – Was ist denn so Schlimmes passiert?
    – Eine Gegenfrage: Warum interessiert Sie das?
    – Warum mich die Vergangenheit interessiert?
    – Nein, warum interessiert Sie so sehr, was mein Vater getan oder nicht getan hat, als er noch mein Vater war?
    – Wie … Sie sprechen von ihm in der Vergangenheit …
    – Schütteln Sie nur den Kopf. Sie sind nicht –
    – Ihre Mutter, das ist mir schon klar.
    – Ha!
Das
wollte ich bestimmt nicht sagen. Aber Sie haben mir meine Frage noch nicht beantwortet. Warum interessiert Sie das alles? Warum belästigen Sie andere Leute mit Briefen?
    – Ich wollte es eben wissen. Einen tieferen Grund gibt es nicht.
    – Keinen Grund also? Immerhin, das ist …
    – Bitte, seien Sie doch nicht so aggressiv.
    – Warum, erinnere ich Sie an meinen Vater?
    Sie schwieg eine Weile, kratzte sich wieder an der Stirn, nahe an der Absturzstelle der großen Passagiermaschine. Brennende Trümmer. Löschfahrzeuge. Orange Gummirutschen. Großes Geschrei.
    – Sie werden mir nichts erzählen?
    – Nein, sagte ich, keine Chance. Wenn
er
– ich deutete auf einen der Bäume vor dem Café, der sofort so etwas wie Unschuld und Betroffenheit auszudrücken schien –, wenn
er
es nicht schafft, seiner zukünftigen Frau von seinem Vorleben zu erzählen, wieso sollte ich es dann tun?
    Ein

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