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Die Frequenzen

Die Frequenzen

Titel: Die Frequenzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens J. Setz
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Tischtuch.
    – Daran hängen?
    – Das haben Sie mir doch gerade selbst erklärt: Sie wünschen ausdrücklich keine Berichtigungen Ihres Eindrucks –
    – Wenn Sie vierzehn Jahre einen
Eindruck
nennen wollen!
    – Das hängt nicht von der Dauer ab.
    – Sondern nur von der Intensität der Liebe, mit der man sich diesem Mann unterordnet, ja, ich hab schon verstanden …
    – Ich ordne mich ihm nicht unter!
    – Doch, natürlich tun Sie das. Sonst hätten Sie mich ja nicht angerufen und hierher bestellt. Sie wollen Ihr Bild von ihm, Ihr verklärtes … und ja, durchaus, ich meine als … als … wie sagt man … als Liebhaberin … immerhinlegitimes Bild, ich klage Sie deswegen bestimmt nicht an … wo war ich?
    – Ich hänge an dem Bild, das wollten Sie mir gerade klarmachen.
    – Ja, gut, dann war ich schon fertig. Gut. Ihr Eindruck wird getrübt dadurch, dass Ihnen der Mann, den Sie irgendwann … nächsten Monat oder so, ich hab’s vergessen … heiraten werden, erzählt hat, dass er … na ja, er hat … ganz nebenbei hat er einen Sohn und eine Exfrau, der Sohn ist vierundzwanzig, ja, schon so alt, und so weiter und so fort …
    – Würde Sie das nicht überraschen?
    – Natürlich. In diesem Punkt verstehe ich Sie vollkommen. Sie können gar nicht anders. Und es ist ja erlaubt nachzufragen. Sicher.
    – Bloß antworten muss der Gefragte nicht. Wenn er nicht will.
    – Ganz genau, jetzt haben Sie es begriffen.
    Es folgte eine kurze Pause, in der sie Feuerzeug, Zigarettenpackung und Telefon in ihre Tasche packte. Jetzt gab es nur mehr den halbleeren Eisbecher zwischen mir und ihr. Alles andere war rückstandsfrei verbrannt.
    – Es ist schwer, zu Ihnen durchzudringen, sagte sie.
    – Wem sagen Sie das. Ich war selbst erst einmal da. Nahtoderfahrung. Mit siebzehn. Ich bin über meinem Körper geschwebt und habe versucht, irgendwie wieder hineinzukommen. Aber etwas, das furchtbar schnell und zugleich entsetzlich langsam war, hat mich immer wieder weggezerrt, wie eine Meeresströmung.
    Ich lehnte mich in meinem Sessel zurück.
Meeresströmung
, ein schönes Wort. Meine Handflächen schwitzten. Natürlich war das alles gelogen. Ich fuhr mir mit der Hand über die Stirn und durch die Haare.
    – Alles in Ordnung?, fragte sie.
    – Nein, natürlich nicht. Ich glaube, ich werde jetzt gehen.
    – Ich wollte Sie eigentlich zur Hochzeit einladen. Aber ich glaube, ich weiß, was Ihre Antwort sein wird …
    – Haben Sie eine schriftliche Einladung, ein Billet?
    – Ein Billet? Warum?
    Sie war erstaunt.
    – Ach, nur so, hätte mich einfach interessiert. Wie lautet denn der Einladungstext?
Gerd … äh, Georg und Hannelore laden ein zur Feier ihres neuen Lebensabschnitts
oder …
    – Selbstverständlich gibt es noch keine Billets, sagte sie.
    – Dann machen wir am besten Folgendes: Wenn es mal welche gibt, schicken Sie mir einfach eins.
    Sie schien sich einen Augenblick zu besinnen, ob ich sie verspottete oder vielleicht doch ungeschickt um Verzeihung bat, für irgendetwas Tiefverwurzeltes, dann begann sie in ihrer Handtasche zu kramen.
    – Meine Adresse haben Sie ja, sagte ich.
    Ich stand auf, wandte mich um und ging mit schnellen Schritten fort. Nicht umblicken, nicht umblicken.
    An der Straßenbahnhaltestelle überkam mich ein nervöser Lachanfall, ein alberner Krampf, der sich in meinen Bauchmuskeln festbiss und mich durchschüttelte. Ich kicherte dumm vor mich hin, und eine junge Frau wich ängstlich ein paar Schritte zurück. Durch meine Manteltasche grub ich mir die Fingernägel in die Seite, bis der Anfall vorüber war.
    An der Haltestelle wartete eine Nonne, ein beruhigender, friedlicher Anblick, wie ein Pinguin. Aber auch eine leichte Beute.
    Ich stand mit dem Rücken zu ihr.
    Ich holte mein Telefon aus der Tasche und wählte die Zeitansage.
    – Hallo?, brüllte ich. Ja, wieder ich. Hören Sie, ich belästige Sie nur ungern … Ja, schon klar, ich wollte nur noch mal was fragen. Also ich versteh das nicht mit Pater Pio … Pius, ja, richtig … Also bei diesen Stigmata, ich meine … ja, ist schon klar, aber meine Frage ist, wie muss man sich das vorstellen? … Aha … Aha … Und sind da wirklich Löcher in der Hand gewesen, wo das Blut raustropft, ich meine … Aha … Und bedeutet das wirklich buchstäblich, dass Jesus in ihm gekommen ist? … Ja … Was? … in
ihn
, meine ich ja … Ja, aha … aha … im Genitalbereich auch? Echt? … Ja … Was? Nein, das ist mir ganz unbekannt … Ach so,

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