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Die Frequenzen

Die Frequenzen

Titel: Die Frequenzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens J. Setz
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Rädern. Etwas später wackelte ein Hund über die Straße, ein zerzaustes, schmutziges Vieh, das den Kopf hin und her drehte, weil es wahrscheinlich sein Herrchen suchte, das ihm abhanden gekommen war. Vielleicht war der russische Serienmörder sein Herrchen, dachte Gerald. Aber an diesem unsinnigen Gedanken merkte er nur, dass es schon sehr spät war und dass sein Kopf, weil er längst schlafen wollte, sinnlose Querverbindungen herstellte. Der Hund trug ein hässliches Halsband und hatte eine ausgefranste, abgekaute Rute. Gerald nahm einen kurzen Videoclip auf. Er gab ihm den Titel
Dog
.
    Andere Videos abspielen?
, fragte das Display.
    My shoes in the k…
    Drunk drunk dru…
    Woman beated to …
    Der Boden schwankte immer noch.
    Es gab im Grunde nur ein einziges Mittel dagegen. Er wollte nicht so enden wie seine Mutter. Beschmiert mit Kotze. Würdelos.
    Er stellte sich am Ende eines Korridors auf. Er nahm Anlauf.
    Er tat das, was immer am besten tat, spätnachts. Aber diesmal folgte nicht die wunderbar wohltuende Stille und der genüssliche Schmerz, es folgte eine laute Beleidigung aus einer der dunklen Wohnungen.
    – Ach, verpiss dich doch!
    Gerald umklammerte sein Handy mit beiden Händen, dann trat er mutig auf die feige Tür zu und klopfte.

Ein erster Eindruck
    Ein Kinderspielplatz am frühen Morgen, ein herrlicher Anblick! Man möchte am liebsten mitdirigieren. Die Rhythmusgruppe der Schaukeln, die sanften Glissandi der buckligen Rutsche: helle Farbtupfer gleiten, die kleinen Fäuste in die Luft gestreckt, ins Gras.
    Ich ging über die Straße und prallte gegen einen kräftigen Windstoß, ich wandte mein Gesicht ab, Sand kitzelte in meinen Augen. Der Wind warf Falten in die grüne Abdeckplane eines Baugerüsts und in meine Hosenbeine. Ihr Stoff klebte an meiner Haut, ein merkwürdiges Gefühl von beständigem Druck. Unbewegt im Wind stehen, ein Baugerüst, eine Statue, eine umtoste Kathedrale. Und der Heiligenschein verformt sich unter den gewaltigen Kräften des Windes und wird eine Ellipse, wie die Bahn eines Planeten. Das erste, was mir mein Großvater erklärt hatte, diese Bahnen, anhand eines Holzmodells, das wohl aus der Zeit vor den beiden Weltkriegen stammte und so zerfallen war, dass man es höchstens noch als abstraktes Mobile hätte verwenden können. Aber irgendwann wanderte es, wie alle Dinge, die klein genug waren, in den Müllkorb und sank dort langsam ein wie ein verlassenes Frachtschiff im Eis der Antarktis.
    Mein Großvater machte einen Scherz darüber, dass dieses Wissen um die ewigen Bewegungsbahnen, die Entsprechungen und Konsequenzen, immer eine Generation übersprang.
    Ich hatte die allerseltsamste Begegnung hinter mir. Gestern Abend klopfte es an meine Tür. Der Sohn der Nachbarin. Ich fragte, was los sei.
    – Nichts, sagte er.
    – Nein, das kann nicht sein, sagte ich.
    – Doch, sagte er. Hier.
    Er holte einen ganzen Packen Briefe aus seiner Tasche und sortierte sie vor meiner Nase. Und tatsächlich, es waren auch zwei, nein, sogar vier für mich dabei. Er gab sie mir, als wäre es das Normalste von der Welt.
    – Warum zum Teufel hast du meine Post? Und was machst du hier mitten in der Nacht?
    – Gar nichts.
    – Mit dem
Verpiss dich
habe ich nicht dich gemeint, okay?, sagte ich.
    Er nickte.
    – Sind die Briefe versehentlich bei euch abgegeben worden?
    Er überlegte, dann sagte er:
    – Ja.
    – Bist du dir da sicher?
    – Ja.
    – Du wohnst unten, oder?
    – Ja.
    – Gerald, oder?
    Er nickte.
    – Hör zu, das kommt nicht noch mal vor, sonst sage ich es deiner Mutter. Verstanden?
    Ich schloss die Tür. Seltsames Kind. Stiehlt einfach die Post.
    Ein unwichtiger Werbebrief, Kontoauszüge und ein Brief von einer gewissen Hannelore Schnabel. Außerdem ein höchst sonderbares Kuvert ohne Absender, in dem sich nichts als ein Zettel mit einer Reihe verschiedener Zahlen befand.
    Während ich den Brief von Hannelore Schnabel durchlas,fielen mir die anderen drei aus der Hand. Sie hatte eine Telefonnummer aufgeschrieben, unter der ich sie erreichen konnte. Ich rief sie sofort an.
    Ich beschimpfte sie, während ich mit meiner freien Hand den Zettel mit den Zahlen zerknüllte und zerriss, dann beruhigte ich mich und ließ sie zu Wort kommen. Nachdem sie ein paar Sätze gesagt hatte, fuhr ich fort, sie zu beschimpfen. Steckte sie hinter dem Albtraumanruf von gestern Morgen? Der Zettel mit den vielen sinnlosen Zahlen flog durchs Zimmer. Dann willigte ich ein, mich am nächsten Tag mit ihr zu

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