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Die Frequenzen

Die Frequenzen

Titel: Die Frequenzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens J. Setz
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Heiligsprechung, ja, sicher, ich weiß schon, was das ist …
    Ich drehte mich um. Der Pinguin war verschwunden. An seiner Stelle saß ein glatzköpfiger Mann, seinem Dobermann direkt gegenüber, und die beiden spielten
Wer zuerst lacht, hat verloren
. Bald sprang der Hund vor Übermut wedelnd in die Luft. Er hatte verloren und freute sich.
    Ich fühlte mich großartig, erleichtert bis in die Fingerspitzen, und aus irgendeinem Grund sehr männlich und potent. Ich stöpselte mir die kleinen weißen Hörer meines iPod in die Ohren und hörte dreimal hintereinander
Baba O’Riley
von
The Who
, bis ich den Drang, die Arme auszubreiten und die Herrengasse hinunterzurennen, so stark werden fühlte (ah, dieser herrlich simple Akkordwechsel bei der Zeile:
It’s only teeeeeenage – wasteland!
), dass ich mich in ein Geschäft flüchtete, um wieder zur Besinnung zu kommen. Blinkende Kleiderständer, leise Technomusik, wühlende Menschen. Dasselbe Prinzip, wie wenn man ineine Plastiktüte atmet, wenn man sich zu sehr aufregt und hyperventiliert.
    In der plötzlichen Dunkelheit des Geschäfts rauschte mir das Blut in den Kopf, meine Ohren pochten. Er wird also tatsächlich heiraten, dieser verdammte Drecksack. Und er schickt mir seine Frau, damit sie mich vorbereitet.
Wirklich schwer, zu Ihnen durchzudringen
. Zu Ihnen zu dringen zu durch zu dringen zu. Vierzehn Jahre! Einen ersten Eindruck. Ein Billet – aber der hab ich’s gezeigt. Ich hab’s ihr –
    Eine Verkäuferin, die dasaß, ohne sich zu bewegen, schaute mich misstrauisch an, den reglosen, seltsamen Mann, der den Eingang versperrte. Schnell ging ich ein paar Schritte auf die Straße hinaus. Jemand stieß mich von hinten an.
    –
Oh! Excusez-moi
.

Canned Laughter
    Dämlicher Franzose!
    – Passen Sie doch auf!, schimpfte ich. Regardez-vous … votre … Ach, du bist es, hallo.
    Walter. Seine Wangen waren leicht fleckig, als hätte er gerade geweint.
    – Alex, hallo. Dein Auge ist immer noch nicht besser?
    – Das Auge, nein, ich … Was machst du hier?
    – Einkaufen, mehr oder weniger. Ich bin nur kurz in der Stadt.
    – Ah, ja.
    – Und, wohin bist du unterwegs?
    – Ich? Ins Krankenhaus.
    – Etwas Schlimmes? Dein Auge?
    – Nein, ich sitze dort nur gern herum.
    – Wie?
    – Ja, ich hab mich an den Aufenthaltsraum dort gewöhnt. Der im dritten Stock ist der beste, da gibt es aus irgendeinem Grund keinen Handyempfang. Dasselbe in der Cafeteria. Im Augenblick bin ich nicht gern erreichbar. Die Aufenthaltsräume im zweiten und dritten Stock haben dafür einen Teekocher. Ich schätze, ich bin ziemlich oft dort.
    – Ich wollte mit dir reden, sagte Walter. Ich –
    – Ja, vielleicht ein andermal. Wie gesagt …
    Walter sah zu Boden.
    – Ich weiß nicht, wie merkwürdig das jetzt klingt, aber du siehst echt nicht gut aus.
    Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar.
    – Ich fühl mich auch nicht besonders, sagte ich.
    – Komm mit. Ich möchte dir ein paar Freunde vorstellen, denen ich von dir erzählt habe.
    – Warum?
    – Ach, bloß so.
    – Es ist nur … Ich verarbeite momentan einiges, sagte ich.
    Walter biss sich auf die Lippe, als wüsste er, worum es geht.
    – Komm kurz mit, sagte Walter. Vielleicht heitert es dich ein wenig auf.
    Ein Mann mit einer aerodynamischen Glatze und einem dazu passenden Hemd mit Karomuster öffnete uns die Tür und wir traten ein. Als der Mann mich sah, hob er beide Hände pathetisch zum Himmel und sagte:
    – Hab ich’s doch gewusst!
    – Was?
    – Endlich wird er seinem Ödipus-Komplex gerecht! Warte mal … Du bist ja gar nicht Julian! Entschuldige, entschuldige … der Verband, ich hab dich verwechselt.
    Er umarmte mich zur Entschuldigung und schüttelte mich.
    – Schon in Ordnung.
    Walter ließ sich ebenfalls umarmen.
    – Du riechst furchtbar, sagte Walter. Was ist das? Noch
Pour Homme
oder schon
Pour Femme
?
    – Ach, sagte der Glatzkopf, das sind völlig überschätzte und veraltete Kategorien. Was ist denn mit seinem Gesicht passiert? Er sieht ja aus wie durch einen Türspion betrachtet.
    – Ach, ich … ich hab nur für die Wahrheit gekämpft, sagte ich.
    Aus irgendeinem Grund genoss ich, wie dumm dieser Satz klang. Der Glatzkopf hob eine Hand und gab Walter einen Klaps auf den Hinterkopf.
    – Und du hast ihm nicht erklärt, dass so ein Kampf aussichtslos ist? He, er ist nicht zufällig Mormone?
    Die beiden lachten. Da mir nichts Besseres einfiel, stellte ich mich vor.
    – Alexander, aha, freut mich, verneigte sich

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