Die Freude am Leben
Kinderschar, die alles, was herumstand und herumlag, mit den Augen verschlang, angebrochene Liter Wein, einen Rest Fleisch, ein auf einen Hauklotz geworfenes Bündel Möhren.
»Ob das wohl erlaubt ist«, fuhr Véronique zu brummen fort. »Heranwachsende Kinder, die alle ihren Lebensunterhalt verdienen müßten! Jawohl, sie werden sich bis zu fünfundzwanzig Jahren wie kleine Gören behandeln lassen, wenn Sie so weitermachen!«
Das Fräulein mußte sie bitten, still zu sein.
»Bist du nun fertig? Davon kriegen sie auch nichts zu essen, vom Heranwachsen.«
Pauline hatte sich an den Tisch gesetzt, das Geld und die Naturalien vor sich, und schickte sich an, mit dem Aufrufen zu beginnen, als Lazare, der stehengeblieben war und Houtelards Sohn in dem Haufen bemerkt hatte, laut Einspruch erhob.
»Ich hatte dir doch verboten wiederzukommen, du großer Taugenichts! Schämen sich deine Eltern nicht, dich zum Betteln hierher zu schicken, sie, die noch was zu essen haben, wenn so viele andere schon vor Hunger verrecken!«
Der Sohn Houtelards, ein schmächtiger, zu schnell in die Höhe geschossener Junge von fünfzehn Jahren mit traurigem, furchtsamem Gesicht, fing an zu weinen.
»Sie schlagen mich, wenn ich nicht gehe ... Die Frau hat den Strick genommen, und der Vater hat mich hinausgejagt.«
Und er streifte seinen Ärmel hoch, um den blauroten Fleck zu zeigen, der von einem Schlag mit einem geknoteten Strick herrührte. Die Frau war die ehemalige Magd, die sein Vater geheiratet hatte und die ihn halbtot schlug. Seit sie alles verloren hatten, waren die Härte und der Schmutz ihres Geizes noch größer geworden. Jetzt lebten sie in einer Kloake und rächten sich an dem Kleinen.
»Mach ihm einen Arnikaumschlag um den Ellbogen«, sagte Pauline sanft zu Lazare.
Dann reichte sie dem Kind ein Hundertsousstück.
»Hier, das wirst du ihnen geben, damit sie dich nicht schlagen. Und wenn sie dich schlagen, wenn du nächsten Sonnabend wieder blaue Flecken am Körper hast, dann bekommst du nicht einen Heller mehr, sag ihnen das.«
Auf der Bank kicherten die anderen Schlingel, durch das helle Feuer, das ihnen den Rücken wärmte, ermuntert, und stießen sich die Ellbogen in die Seiten. Ihre Kleidungsstücke dampften, dicke Tropfen fielen von ihren nackten Füßen. Einer von ihnen, ein ganz Kleiner, hatte eine Möhre gestohlen, die er heimlich hinunterschlang.
»Cuche, steh auf«, fuhr Pauline fort. »Hast du deiner Mutter gesagt, daß ich damit rechne, bald ihre Aufnahme ins Spital von Bayeux zu erreichen?«
Die Cuche, diese elend Verlassene, die sich in den Löchern an der Küste für drei Sous oder einen Rest Speck allen Männern verkaufte, hatte sich im Juli ein Bein gebrochen; und sie blieb dadurch verunstaltet, hinkte fürchterlich, ohne daß ihre abstoßende Häßlichkeit, durch dieses Gebrechen verschlimmert, sie etwas von ihrer gewöhnlichen Kundschaft verlieren ließ.
»Ja, ich hab es ihr gesagt«, erwiderte der Junge mit heiserer Stimme. »Sie will nicht.«
Er, der kräftig geworden, war bald siebzehn Jahre alt. Mit baumelnden Armen stand er da und wiegte sich linkisch hin und her.
»Was heißt, sie will nicht!« rief Lazare. »Und du, du willst auch nicht, denn ich hatte dir gesagt, du solltest in dieser Woche kommen und im Garten helfen, und ich habe vergebens auf dich gewartet.«
Er wiegte sich noch immer hin und her.
»Ich habe keine Zeit gehabt.«
Als Pauline sah, daß ihr Cousin aufbrausen würde, legte sie sich ins Mittel.
»Setz dich, wir werden das nachher bereden. Denk mal darüber nach, oder ich werde auch böse.«
Die kleine Gonin war jetzt an der Reihe. Sie war dreizehn Jahre alt und hatte immer noch ihr hübsches rosiges Gesicht unter dem wilden Schopf ihrer blonden Haare. Ohne gefragt zu sein, erzählte sie, und dabei ließ sie in einem Schwall geschwätziger Worte rohe Einzelheiten fallen, daß die Lähmung ihres Vaters ihm jetzt in die Arme und in die Zunge steige, denn er gebe nur noch ein Gegrunze von sich wie ein Tier. Vetter Cuche, der ehemalige Matrose, der seine Frau im Stich gelassen, um sich am Tisch und im Bett der Gonins einzurichten, hatte sich an ebendiesem Morgen auf den Alten gestürzt, in der Absicht, ihm den Garaus zu machen.
»Die Mutter prügelt ihn auch. Nachts steht sie im Hemd mit dem Vetter auf und übergießt den Vater mit kaltem Wasser, weil er so laut stöhnt, daß es sie stört ... Wenn Sie sehen könnten, wie sie ihn zugerichtet haben! Er ist ganz nackt,
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