Die Freude am Leben
diesen Dienst der Wohltätigkeit erweisen zu können. Es war vor allem ihr Wunsch, ihn wieder in Tätigkeit zu stürzen, sollte sie auch den Rest ihres Geldes dabei verlieren. Aber schon zuckte er die Achseln. Wozu das alles? Und er war erbleicht, denn es war ihm der Gedanke gekommen, daß er, wenn er diese Arbeit begänne, sterben würde, bevor er sie zu Ende geführt hätte. So schützte er, um seine Verwirrung zu verbergen, seinen Groll gegen die Fischer von Bonneville vor.
»Lumpenkerle, die sich über mich lustig gemacht haben, als dieses verteufelte Meer seine Verheerungen angerichtet hat! Nein, nein, soll es sie nur zugrunde richten! Dann werden sie nicht mehr über meine Streichhölzer lachen, wie sie sie nennen.«
Sanft versuchte Pauline ihn zu beruhigen. Diese Leute seien so unglücklich! Seit der Flut, die das Haus der Houtelards fortgerissen hatte, das festeste von allen, und noch drei andere, armselige Hütten, wurde das Elend noch größer. Houtelard, einst der Reiche im Dorf, hatte sich wohl in einer alten Scheune, zwanzig Meter weiter zurück, eingerichtet; aber die anderen Fischer, die nicht wußten, wo sie Zuflucht suchen sollten, hausten jetzt in einer Art von Hütten, die sie aus dem Rumpf alter Schiffe gebaut hatten. Es war eine erbarmungswürdige Not, ein Durcheinander der Geschlechter wie bei den Wilden, Frauen und Kinder wimmelten in Ungeziefer und Laster durcheinander. Die Almosen, die sie in der Gegend erhielten, gingen für Branntwein drauf. Diese Elenden verkauften Naturalien, Kleidungsstücke, Küchengeräte, Möbel, um ein paar Liter von dem schrecklichen Calvados zu erwerben, der sie wie tot über die Türschwellen hinstreckte. Einzig Pauline verteidigte sie immer noch; der Pfarrer gab sie auf, Chanteau sprach davon, sein Amt niederzulegen, da er nicht mehr der Bürgermeister einer Schweineherde sein wollte. Und Lazare, wenn seine Cousine sein Mitleid für dieses kleine Volk von Säufern zu erregen suchte, wiederholte das ewige Argument seines Vaters.
»Wer zwingt sie zu bleiben? Sie brauchen ja nur anderswo zu bauen ... So dumm ist doch wahrhaftig keiner, daß er sich derart unter den Wogen einnistet!«
Alle Welt dachte das gleiche. Man ereiferte sich gegen sie und nannte sie verfluchte Starrköpfe. Dann gebärdeten sie sich wie mißtrauische Tiere. Da sie nun einmal hier geboren waren, weshalb hätten sie fortgehen sollen? Das ginge nun schon hundert und aber hundert Jahre so, sie hätten anderswo nichts zu suchen. Wie Prouane sagte, wenn er sehr betrunken war: »Von irgendwas muß man immer gefressen werden.«
Pauline lächelte, nickte zustimmend mit dem Kopf, denn das Glück hing ihrer Meinung nach weder von den Menschen noch von den Dingen ab, sondern davon, wie man sich auf vernünftige Weise auf die Dinge und die Menschen einstellte. Sie verdoppelte ihre gütige Fürsorge, sie verteilte großzügigere Unterstützungen. Endlich hatte sie die Freude gehabt, Lazare an ihren mildtätigen Werken zu beteiligen, in der Hoffnung, ihn zu zerstreuen, ihn durch Mitleid zum Vergessen seiner selbst zu führen. Jeden Sonnabend blieb er bei ihr, sie empfingen gemeinsam von vier bis sechs Uhr die kleinen Freunde aus dem Dorf, die Schar zerlumpter Kinder, welche die Eltern zu dem Fräulein betteln schickten. Es war ein trauriges Häufchen rotznasiger Bengel und verlauster kleiner Mädchen.
Eines Sonnabends regnete es, Pauline konnte ihre Verteilung nicht auf der Terrasse vornehmen, wie sie es für gewöhnlich tat. Lazare mußte eine Bank holen, die er in der Küche aufstellte.
»Wie, Herr Lazare!« rief Véronique. »Gedenkt Mademoiselle Pauline etwa, das ganze Lausevolk hier hereinzubringen? Das ist ja ein großartiger Gedanke, wenn Sie nachher Flöhe in Ihrer Suppe finden wollen.«
Pauline kam mit ihrem Beutel mit kleinem Silbergeld und ihrem Arzneikasten herein. Sie entgegnete lachend:
»Ach was! Du fegst nachher einmal kurz über ... Und außerdem regnet es so heftig, daß der Regen sie schon abgewaschen haben wird, die armen Kleinen.«
In der Tat hatten die ersten, die hereinkamen, ein rosiges, vom Platzregen gewaschenes Gesicht. Aber sie waren so durchnäßt, daß das Wasser aus ihren Lumpen in Pfützen auf die Fliesen rann; und die schlechte Laune der Magd nahm zu, vor allem, als das Fräulein ihr befahl, rasch Feuer zu machen, um sie ein wenig zu trocknen. Man trug die Bank vor den Herd. Bald saß da in einer Reihe fröstelnd zusammengedrängt eine freche, verschlagene
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