Die Freude am Leben
Mademoiselle Pauline, er müßte Wäsche haben, denn er scheuert sich wund ...«
»Schon gut, sei still!« sagte Lazare, sie unterbrechend, während Pauline, von Mitleid bewegt, Véronique ein paar Bettücher holen ließ.
Er fand sie viel zu schlau für ihr Alter. Obgleich sie zuweilen ein paar verirrte Ohrfeigen abbekam, hatte sie nach seiner Meinung auch angefangen, ihren Vater herumzustoßen; ganz abgesehen davon, daß alles, was man ihr gab, Geld, Fleisch, Wäsche, statt zu dem Siechen zu gelangen, den Gelagen der Frau und des Vetters diente. Er fragte sie unvermittelt:
»Was hast du eigentlich vorgestern in dem Boot von Houtelard getan, mit einem Mann, der dann entwischt ist?«
Sie lachte verschlagen.
»Das war kein Mann, das war der da«, erwiderte sie und wies mit dem Kinn auf den jungen Cuche. »Er hatte mich von hinten gestoßen ...«
Wieder unterbrach er sie.
»Ja, ja, ich habe wohl gesehen, du hattest deine Lumpen über dem Kopf. Du fängst ja zeitig an, mit deinen dreizehn Jahren!«
Pauline legte ihm die Hand auf den Arm, denn alle anderen Kinder, selbst die jüngsten, lachten mit Augen, in denen vorzeitige Laster flammten. Wie sollte man diese Fäulnis aufhalten in dem Haufen, in dem Männchen, Weibchen und ihre Brut verdarben? Als Pauline der Kleinen Bettücher und einen Liter Wein ausgehändigt hatte, sprach sie einen Augenblick leise mit ihr und versuchte, ihr Angst vor den Folgen dieser garstigen Dinge einzuflößen, die sie krank und häßlich machen würden, bevor sie noch eine richtige Frau geworden war. Das war die einzige Art, sie zurückzuhalten.
Lazare hatte, um diese Verteilung zu beschleunigen, die ihn auf die Dauer anwiderte und aufbrachte, die Tochter von Prouane aufgerufen.
»Dein Vater und deine Mutter haben sich gestern abend wieder betrunken ... Man hat mir gesagt, du wärest besoffener gewesen als sie.«
»O nein, Herr Lazare, ich hatte Kopfschmerzen.«
Er stellte einen Teller vor sie hin, auf dem rohe Fleischklößchen lagen.
»Iß das.«
Schon wieder war sie von Skrofeln zerfressen, nervöse Störungen waren zum kritischen Zeitpunkt der Geschlechtsreife aufgetreten. Die Trunksucht verdoppelte ihr Leiden, denn sie hatte angefangen, gemeinsam mit ihren Eltern zu trinken. Nachdem sie drei Klößchen hinuntergeschluckt hatte, verzog sie das Gesicht und schnitt eine Grimasse des Widerwillens.
»Ich hab genug, ich kann nicht mehr.«
Pauline hatte eine Flasche genommen.
»Gut«, sagte sie. »Wenn du dein Fleisch nicht ißt, bekommst du dein Gläschen Chinawein nicht.«
Da überwand das Kind, die leuchtenden Augen auf das volle Glas geheftet, seinen Widerwillen; dann leerte sie es, kippte es sich mit der gekonnten Handbewegung des Säufers in die Kehle. Aber sie ging noch nicht fort, sie flehte schließlich das Fräulein an, sie die Flasche mitnehmen zu lassen, und sagte, es sei ihr zu mühsam, jeden Tag zu kommen; und sie versprach, damit zu Bett zu gehen, sie so gut in ihren Röcken zu verstecken, daß Vater und Mutter sie ihr nicht austrinken konnten. Das Fräulein lehnte rundheraus ab.
»Damit du sie auf einen Zug leerst, bevor du noch die Küste hinabgestiegen bist«, sagte Lazare. »Jetzt muß man dir mißtrauen, kleiner Weinschlauch!«
Die Bank leerte sich, die Kinder verließen sie eins nach dem anderen, um Geld, Brot, Fleisch in Empfang zu nehmen. Einige wollten, nachdem sie ihren Teil bekommen hatten, noch vor dem guten Feuer verweilen; aber Véronique, die bemerkt hatte, daß die Hälfte ihres Möhrenbundes aufgegessen war, schickte sie fort, warf sie mitleidslos in den Regen hinaus: Hatte man so was schon mal gesehen! Möhren, die noch voller Erde waren! Bald stand nur noch der junge Cuche da, düster und träge in Erwartung der Predigt des Fräuleins. Sie rief ihn, sprach lange halblaut mit ihm, gab ihm schließlich trotzdem das Brot und die hundert Sous, wie jeden Sonnabend; und er ging davon mit seinem wiegenden Gang eines bösartigen, störrischen Tieres, nachdem er versprochen hatte zu arbeiten, aber sehr wohl entschlossen, nichts dergleichen zu tun.
Endlich stieß die Magd einen Seufzer der Erleichterung aus, rief jedoch plötzlich:
»Sind sie denn nicht alle fort? Da ist ja noch eins in der Ecke!«
Es war die kleine Tourmal, die Mißgeburt der Landstraße, die trotz ihrer zehn Jahre zwergenhaft klein blieb. Einzig ihre Dreistigkeit wuchs, sie war noch weinerlicher, noch hartnäckiger, schon in den Windeln aufs Betteln abgerichtet, gleich den
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