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Die Freude am Leben

Die Freude am Leben

Titel: Die Freude am Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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Wunderkindern, die man für die Purzelbäume im Zirkus zu Schlangenmenschen erzieht. Sie hockte zwischen Küchenschrank und Herd, als hätte sie sich aus Furcht, bei üblem Tun ertappt zu werden, in diesen Schlupfwinkel gleiten lassen. Das schien verdächtig.
    »Was tust du da?« fragte Pauline.
    »Ich wärme mich.«
    Véronique blickte sich unruhig in ihrer Küche um. Schon an den anderen Sonnabenden waren, selbst wenn die Kinder sich auf die Terrasse setzten, kleine Gegenstände verschwunden. Doch alles schien in Ordnung zu sein, und das Mädchen, das sich rasch aufgerichtet hatte, begann sie mit seiner schrillen Stimme zu betäuben.
    »Der Vater ist im Spital, Großvater hat sich bei der Arbeit verletzt, die Mutter hat kein Kleid zum Ausgehen ... Haben Sie Mitleid mit uns, gutes Fräulein ...«
    »Willst du uns wohl nicht den Kopf verwirren, du Lügnerin!« rief Lazare außer sich. »Dein Vater sitzt wegen Schmuggels im Gefängnis, und dein Großvater hat sich an dem Tag das Handgelenk verrenkt, als er die Austernbänke von Roqueboise verwüstete; ganz abgesehen davon, daß deine Mutter, wenn sie kein Kleid hat, wohl im Hemd auf Raub ausgehen muß, denn man hat sie schon wieder verklagt, daß sie beim Gastwirt von Verchemont fünf Hühner erwürgt hat ... Machst du dich über uns lustig, daß du uns Dinge vorlügst, die wir besser wissen als du? Geh und erzähl deine Geschichten den Leuten auf der Straße.«
    Das Kind schien nicht einmal gehört zu haben. Es begann von neuem mit seiner schamlosen Dreistigkeit.
    »Haben Sie Mitleid, gutes Fräulein, die Männer sind krank, und die Mutter wagt sich nicht mehr aus dem Haus ... Der liebe Gott wird es Ihnen vergelten ...«
    »Da! Verschwinde und lüge nicht mehr«, sagte Pauline zu ihr, indem sie ihr ein Geldstück gab, um dem ein Ende zu machen.
    Das ließ sie sich nicht zweimal sagen. Mit einem Satz war sie aus der Küche und lief über den Hof, so schnell ihre kurzen Beine sie trugen. Aber im selben Augenblick stieß das Hausmädchen einen Schrei aus.
    »Oh, mein Gott! Der Becher, der auf dem Küchenschrank stand! Den Becher von Mademoiselle Pauline hat sie mitgenommen!«
    Auf der Stelle war sie hinausgestürmt, um die Diebin zu verfolgen. Zwei Minuten später brachte sie sie am Arm zurück, mit der schrecklichen Miene eines Gendarmen. Man hatte die allergrößte Mühe, sie zu durchsuchen, denn sie wehrte sich, biß, kratzte und stieß dabei ein Gebrüll aus, als brächte man sie um. Der Becher war nicht in ihren Taschen, man fand ihn in dem Lumpen, der ihr als Hemd diente, direkt auf der Haut. Und während sie zu weinen aufhörte, behauptete sie jetzt frech, sie wisse nicht, wo das herkomme, das müsse auf sie herabgefallen sein, während sie auf der Erde saß.
    »Der Herr Pfarrer hat ganz richtig gesagt, daß sie Sie bestehlen würde«, wiederholte Véronique. »Ich würde ja die Polizei holen lassen!«
    Auch Lazare sprach von Gefängnis, aufgebracht durch das herausfordernde Benehmen der Kleinen, die sich wieder aufrichtete wie eine junge Natter, der man den Schwanz zertreten hat. Man hätte sie ohrfeigen mögen.
    »Gib wieder her, was man dir gegeben hat«, rief er. »Wo ist das Geldstück?«
    Schon führte sie dieses Geldstück an die Lippen, um es zu verschlucken, als Pauline sie losließ und sagte:
    »Behalt es trotzdem und sag zu Hause Bescheid, daß es das letzte ist. Ich werde von nun an nachsehen, was ihr braucht ... Geh!«
    Man hörte die nackten Füße des Mädchens durch die Pfützen patschen, dann trat Stille ein, Véronique stieß die Bank fort, bückte sich mit einem Schwamm, um die Pfützen wegzuwischen, die aus den Lumpen herabgeflossen waren. Weiß Gott! Ihre Küche sah ja sauber aus, von diesem Elend so verpestet, daß sie alle Türen und das Fenster aufreißen mußte. Pauline nahm ernst, ohne ein einziges Wort, ihren Beutel und ihre Heilmittel wieder an sich, während Lazare, mit empörter Miene, gähnend vor Ekel und Langerweile, sich am Brunnen die Hände wusch.
    Das war Paulines Kummer: Sie sah, daß Lazare für ihre kleinen Freunde aus dem Dorf kaum Anteilnahme bewies. Wenn er ihr auch am Sonnabend half, so geschah es doch aus bloßer Gefälligkeit ihr gegenüber, denn er war nicht mit dem Herzen dabei. Während nichts sie abstieß, weder Armut noch Laster, so ärgerte und betrübte er sich ob dieser häßlichen Dinge. Sie blieb ruhig und heiter in ihrer Liebe zu den anderen, während er nicht aus sich herauszugehen vermochte, ohne neue

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