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Die Freude am Leben

Die Freude am Leben

Titel: Die Freude am Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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totzuschlagen. Man müsse wohl das Leben eines Menschen zu verlängern suchen, aber wozu ein zum Tode verurteiltes Tier leiden lassen! Man hatte den Tierarzt vor die Tür gesetzt und ihm die sechs Francs für seinen Besuch gegeben.
    Eines Sonnabends verlor Mathieu so viel Blut, daß man ihn in den Schuppen sperren mußte. Er streute einen Regen dicker roter Tropfen hinter sich aus. Da Doktor Cazenove zeitig gekommen war, bot er Lazare an, sich den Hund anzusehen, den man wie ein Familienmitglied behandelte. Sie fanden ihn mit erhobenem Kopf daliegen, sehr geschwächt, doch mit noch lebhaftem Blick. Der Doktor untersuchte ihn lange mit dem nachdenklichen Ausdruck, den er am Bett eines Kranken annahm. Schließlich sagte er:
    »So starke Blutungen müssen von einer krebsartigen Veränderung der Nieren herrühren ... Er ist verloren. Aber er kann es noch ein paar Tage machen, falls er nicht von einem plötzlichen Blutsturz dahingerafft wird.«
    Der verzweifelte Zustand Mathieus überschattete die Mahlzeit. Man rief sich ins Gedächtnis zurück, wie sehr Frau Chanteau ihn geliebt hatte, man erinnerte sich an die Hunde, die er erwürgt, an seine Jugendstreiche, vom Rost gestohlene Koteletts, ganz warm ausgeschlürfte Eier. Beim Nachtisch indessen, als Abbé Horteur seine Pfeife hervorholte, kam wieder Fröhlichkeit auf, man hörte ihm zu, wie er von seinen Birnen berichtete, die in diesem Jahr hervorragend zu werden versprachen. Chanteau summte schließlich trotz des dumpfen Prickelns eines nahenden Anfalls ein munteres Lied aus der Zeit, da er zwanzig war. Der Abend war bezaubernd. Lazare selber wurde heiter.
    Plötzlich, gegen neun Uhr, als man gerade den Tee eingeschenkt hatte, rief Pauline:
    »Aber da ist er ja, der arme Mathieu!«
    In der Tat schob sich Mathieu. auf seinen Pfoten wankend, blutend und abgemagert ins Eßzimmer. Gleich darauf hörte man Véronique, die mit einem Wischtuch hinter ihm her war. Sie kam herein und sagte:
    »Ich habe im Schuppen zu tun gehabt, da ist er entwischt. Bis zuletzt muß er da sein, wo Sie sind; unmöglich, einen Schritt zu tun, ohne daß er einem zwischen den Röcken herumläuft ... Los, komm, du kannst da nicht bleiben.«
    Der Hund senkte mit sanftem, demütigem Ausdruck seinen zitternden alten Kopf.
    »Oh, laß ihn!« flehte Pauline.
    Aber das Hausmädchen wurde ärgerlich.
    »Das fehlt gerade noch! Ich habe es satt, das Blut hinter ihm aufzuwischen. Seit zwei Tagen schon ist meine Küche voll davon. Das ist ja ekelhaft ... Das Eßzimmer wird sauber aussehen, wenn er sich überall herumschleppt ... Los, hopp! Willst du wohl schnell machen!«
    »Laß ihn«, wiederholte Lazare. »Geh.«
    Während Véronique wütend die Tür schloß, kam Mathieu, als habe er verstanden, und legte seinen Kopf auf das Knie seines Herrn. Alle wollten ihm eine Freude bereiten, man zerbrach Zuckerstücke, man versuchte, ihn aufzumuntern. Früher war es das allabendliche kleine Spiel, ein Stück Zucker weit von ihm entfernt auf die andere Seite des Tisches zu legen; schnell lief er um den Tisch herum, aber da hatte man das Stück schon weggenommen, um es ans andere Ende zu legen; und unaufhörlich lief er herum, und unaufhörlich sprang der Zucker fort, bis der Hund, schwindlig geworden, verblüfft über diese ständige Irreführung, wütend zu bellen begann. Dieses Spiel war es, das Lazare wieder zu beginnen versuchte, in dem brüderlichen Gedanken, dem traurigen Tier in seinem Todeskampf noch eine Freude zu verschaffen. Der Hund wedelte einen Augenblick mit dem Schwanz, lief einmal um den Tisch, stieß dann an Paulines Stuhl. Er sah den Zucker nicht, sein abgemagerter Körper wich zur Seite aus, das Blut regnete in roten Tropfen rings um den Tisch. Chanteau trällerte nicht mehr, Mitleid preßte allen das Herz zusammen beim Anblick des armen sterbenden Mathieu, der in der Erinnerung an die Streiche des gefräßigen Mathieu von einst umhertappte.
    »Ermüden Sie ihn nicht«, sagte der Doktor sanft. »Sie töten ihn.«
    Der Pfarrer, der schweigend rauchte, bemerkte, zweifellos um sich seine innere Bewegung zu erklären:
    »Diese großen Hunde sind wie Menschen, möchte man sagen.«
    Um zehn Uhr, als der Priester und der Arzt gegangen waren, schloß Lazare selber, bevor er in sein Zimmer hinaufstieg, Mathieu im Wagenschuppen ein. Er bettete ihn auf frisches Stroh, vergewisserte sich, daß er seine Schüssel mit Wasser hatte, umarmte ihn und wollte ihn dann allein lassen. Doch der Hund hatte sich mit

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