Die Freude am Leben
Zerrissenheit war nicht grausamer gewesen, als er hinter dem Sarg seiner Mutter über den Hof geschritten war. Wieder ging etwas von ihr davon, er verlor sie vollends. Die Monate verborgenen Schmerzes erstanden wieder, seine von Alpträumen gestörten Nächte, seine Spaziergänge zu dem kleinen Friedhof, sein Grauen vor der Ewigkeit des Nimmermehr.
Es gab ein Geräusch, Lazare wandte sich um und sah Minouche, wie sie sich auf dem Stroh seelenruhig putzte. Aber die Tür hatte geknarrt, Pauline kam herein, von derselben Sorge getrieben wie ihr Cousin. Als er sie erblickte, flossen seine Tränen doppelt heftig, und er, der die Trauer um seine Mutter in einer Art schamhafter Wildheit verborgen hatte, rief aus:
»Mein Gott! Mein Gott! Sie liebte ihn so sehr! Erinnerst du dich? Sie hatte ihn bekommen, als er ganz klein war, und sie war es, die ihm zu fressen gab, und er folgte ihr überallhin im Haus!« Dann fügte er hinzu: »Es ist niemand mehr da, wir sind ganz allein!«
Tränen stiegen Pauline in die Augen. Sie hatte sich vorgebeugt, um den armen Mathieu im unbestimmten Schein der Kerze zu sehen. Ohne zu versuchen, Lazare zu trösten, machte sie eine mutlose Gebärde, denn sie fühlte sich nutzlos und ohnmächtig.
Kapitel VIII
Langeweile lag Lazares Trübsinn zugrunde, eine ständige, erdrückende Langeweile, die aus allem hervordrang wie trübes Wasser aus einer vergifteten Quelle. Er langweilte sich bei der Ruhe, bei der Arbeit, mit sich selbst mehr noch als mit den anderen. Indessen machte er sich Vorwürfe ob seines Müßiggangs, er errötete schließlich darüber. War es nicht eine Schande, daß ein Mann in seinem Alter seine besten Jahre in diesem Loch Bonneville verlor? Bis dahin hatte er wohl Vorwände gehabt; doch nichts hielt ihn jetzt zurück, und er verachtete sich, nutzlos den Seinen weiterhin zur Last zu fallen, wo sie doch selber kaum etwas zum Leben hatten. Er hätte ihnen ein Vermögen erwerben müssen, wie er es sich früher einmal geschworen hatte; es war ein völliges Versagen seinerseits. Gewiß, an Zukunftsplänen, großen Unternehmungen, Reichtum, den er mit einem Geniestreich erobern würde, daran mangelte es ihm noch immer nicht. Allein wenn er aus dem Traum heraustrat, fand er nicht mehr den Mut, sich ans Werk zu machen.
»Das kann nicht so weitergehen«, sagte er oft zu Pauline. »Ich muß arbeiten ... Ich habe Lust, in Caen eine Zeitung zu gründen.«
Jedesmal erwiderte sie ihm:
»Warte das Ende des Trauerjahres ab, nichts drängt dich ... Überlege gut, ehe du ein solches Unternehmen ins Leben rufst.«
In Wahrheit zitterte sie bei dem Gedanken an diese Zeitung, trotz ihres Wunsches, ihn beschäftigt zu sehen. Ein neuer Mißerfolg würde ihn vielleicht vollends vernichten; und sie rief sich seine ständigen Fehlschläge ins Gedächtnis, die Musik, die Medizin, die Fabrik, alles, was er unternommen hatte. Im übrigen weigerte er sich zwei Stunden später sogar, einen Brief zu schreiben, als wäre er von Müdigkeit zerschlagen.
Wieder vergingen Wochen, eine Hochflut riß drei Häuser von Bonneville mit sich fort. Wenn die Fischer jetzt Lazare begegneten, fragten sie ihn, ob er genug davon habe. Sicher, da könne man nichts machen, aber es brächte einen doch in Wut, so viel gutes Holz verloren zu sehen. Und in ihren Klagen, in der Art, wie sie ihn anflehten, das Dorf nicht in den Wogen ertrinken zu lassen, steckte der grimmige Spott von Matrosen, die stolz auf ihr Meer mit den todbringenden Ohrfeigen sind. Er wurde nach und nach so gereizt, daß er es vermied, durchs Dorf zu gehen. Der Anblick der Überreste des Pfahlwerks und der Wellenbrecher in der Ferne wurde ihm unerträglich.
Prouane hielt ihn eines Tages an, als er zum Pfarrer hineinging.
»Herr Lazare«, sagte er demütig zu ihm mit einem boshaften Lachen in den Augenwinkeln, »Sie wissen, die Holzstücke, die da unten am Strand verfaulen ...«
»Ja, und?«
»Wenn Sie nichts mehr damit anfangen, sollten Sie sie uns geben ... Wir würden uns wenigstens daran wärmen.«
Verhaltener Zorn riß den jungen Mann fort. Er erwiderte heftig, ohne überhaupt darüber nachgedacht zu haben:
»Unmöglich, in der nächsten Woche schicke ich die Zimmerleute wieder an die Arbeit.«
Von nun an zeterte das ganze Dorf. Man würde den Tanz noch einmal erleben, da der junge Chanteau starrköpfig darauf bestand. Vierzehn Tage vergingen; wenn die Fischer ihm begegneten, fragten sie ihn jedesmal, ob er denn keine Arbeiter fände. Und er
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