Die Freude am Leben
düstere Stimmung, er zeigte sich schließlich schroff gegenüber seiner Cousine, als grollte er ihr ob seines eigenen Sichgehenlassens. Sie sagte seinem Fleische nichts, und zuweilen entfloh er einer heiteren, ruhigen Plauderei, die sie miteinander hatten, um zu seinem Laster zu eilen, sich einzuschließen, sich ganz der brennenden Erinnerung an die andere hinzugeben. Dann ging er mit dem Ekel vor dem Leben wieder hinunter.
In einem Monat veränderte er sich so sehr, daß die verzweifelte Pauline furchtbare Nächte verbrachte. Am Tage blieb sie noch tapfer, immer auf den Beinen in diesem Hause, das sie mit ihrer sanften Autorität leitete. Doch am Abend, wenn sie die Tür hinter sich geschlossen hatte, durfte sie ihren Kummer haben, all ihr Mut schwand dahin, und sie weinte wie ein kraftloses Kind. Es blieb ihr keine Hoffnung, das Versagen ihrer Güte wurde immer offenkundiger. War es denn möglich? Die Barmherzigkeit genügte also nicht, man konnte die Leute lieben und ihr Unglück bewirken; denn sie sah ihren Cousin unglücklich, vielleicht gar durch ihre Schuld. Dann wuchs auf dem Grunde ihres Zweifels die Furcht vor dem Einfluß einer Nebenbuhlerin. Hatte sie sich lange Zeit beruhigt, indem sie diese düstere Stimmung mit ihrer frischen Trauer erklärte, so kehrte der Gedanke an Louise jetzt wieder, jener Gedanke, der sich am Tage nach Frau Chanteaus Tod in ihr erhoben, den sie mit dem stolzen Vertrauen in ihre Liebe verscheucht hatte und der an jedem Abend in der Niederlage ihres Herzens von neuem entstand.
Da hatte Pauline keine Ruhe mehr. Sobald sie ihren Leuchter hingestellt hatte, sank sie auf den Rand ihres Bettes nieder, ohne den Mut zu finden, ihr Kleid auszuziehen. Ihre seit dem Morgen zur Schau getragene Fröhlichkeit, ihre Ordnung und ihre Geduld drückten sie zu Boden wie ein zu schweres Gewand. Der Tag, gleich den vorangegangenen und den folgenden Tagen, war verflossen in Lazares Langeweile, von deren Hoffnungslosigkeit das ganze Haus erfaßt wurde. Wozu ihr Bemühen um Freude, da sie diesen geliebten Winkel nicht mehr mit Sonne erwärmen konnte? Das alte grausame Wort ertönte wieder, man lebte zu einsam, schuld war ihre Eifersucht, die die Leute ferngehalten hatte. Sie nannte nicht Louise, sie wollte nicht an sie denken, und trotzdem sah sie sie mit ihrem hübschen Gesicht vorübergehen, wie sie Lazare mit ihrem koketten Schmachten belustigte, ihn mit dem Schwingen ihrer Röcke erheiterte. Die Minuten verstrichen, sie vermochte das Bild nicht zu verjagen. Es war zweifellos dieses Mädchen, auf das er wartete, nichts wäre so leicht, wie ihn zu heilen, indem man sie holte. Und jeden Abend, wenn Pauline in ihr Zimmer hinaufging und vor Müdigkeit auf den Rand ihres Bettes sank, verfiel sie wieder derselben Vision, gequält von dem Glauben, daß das Glück der Ihren vielleicht in den Händen der anderen lag.
Dennoch lehnte sich ihr Gefühl immer wieder empört dagegen auf. Sie verließ ihr Bett und öffnete das Fenster, von Atemnot befallen. Dann blieb sie angesichts der schwarzen Unendlichkeit, über dem Meer, dessen Klage sie hörte, stundenlang aufgestützt stehen, ohne schlafen zu können, die brennende Brust dem Wehen des Seewindes dargeboten. Nein, niemals würde sie so erbärmlich sein, die Rückkehr dieses Mädchens zu dulden. Hatte sie sie nicht einander in den Armen liegend überrascht? War das nicht der gemeinste Verrat, in ihrer Nähe, in einem benachbarten Zimmer, in dieser Wohnung, die sie als die ihre betrachtete? Diese Schlechtigkeit blieb unverzeihlich, es hieße mitschuldig werden, würde sie die beiden wieder zueinander bringen. Ihr eifersüchtiger Groll erhitzte sich bei den Bildern, die sie so heraufbeschwor; sie erstickte ihr Schluchzen, indem sie das Gesicht in ihren nackten Armen verbarg, die Lippen auf ihr Fleisch gepreßt. Die Nacht schritt vor, die Winde strichen ihr über den Hals, zerrten an ihrem Haar, ohne das zornige Blut zu besänftigen, das in ihren Adern pochte. Doch heimlich, unbezwinglich dauerte der Kampf zwischen ihrer Güte und ihrer Leidenschaft fort, selbst in ihrer äußersten Empörung. Eine sanfte Stimme in ihr, die ihr nun wie fremd erschien, sprach beharrlich ganz leise von den Freuden des Wohltuns, von dem Glück, sich den anderen zu opfern. Sie wollte sie zum Schweigen bringen: Wie blödsinnig war diese bis zur Feigheit getriebene Selbstverleugnung; und trotzdem hörte sie auf diese Stimme, es wurde ihr bald unmöglich, sich ihrer zu erwehren. Nach
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