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Die Freude am Leben

Die Freude am Leben

Titel: Die Freude am Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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Wunder an Sparsamkeit vollbringen, um das Geld für ihre Almosen zu retten. Seit dem letzten Winter hatte die Vormundschaft des Doktors Cazenove ein Ende genommen, Pauline war großjährig, verfügte unumschränkt über ihr Vermögen und ihre Person; zweifellos war der Doktor ihr kaum lästig gewesen, denn er hatte es abgelehnt, um Rat gefragt zu werden, und seine Mission war nach dem Gesetz schon seit Wochen beendet, als sie beide dessen gewahr wurden; aber sie fühlte sich gleichwohl reifer und freier, als sei sie gänzlich Frau geworden, nun, da sie sich als Herrin des Hauses sah, ohne Rechenschaft geben zu müssen, von ihrem Onkel inständig gebeten, alles zu regeln und ihm niemals von irgend etwas zu sprechen. Auch Lazare hatte ein Grauen vor Geldangelegenheiten. Sie führte also die gemeinsame Kasse, sie vertrat ihre Tante mit einem praktischen Verstand, der die beiden Männer manchmal verblüffte. Nur Véronique fand, das Fräulein sei äußerst »knauserig«: Mußte man sich doch jetzt am Sonnabend mit einem Pfund Butter begnügen!
    Die Tage folgten aufeinander mit eintöniger Regelmäßigkeit. Diese Ordnung, diese unaufhörlich von vorn beginnenden Gewohnheiten, die in Paulines Augen das Glück bedeuteten, steigerten Lazares Langeweile noch mehr. Nie hatte ihn so viel Unruhe im Hause umhergetrieben wie jetzt, seit sie jeden Raum mit heiterem Frieden einschläferte. Die Beendigung der Arbeiten am Strand war für ihn eine wahre Erleichterung, denn jede Inanspruchnahme war ihm lästig; aber er war kaum wieder in den Müßiggang zurückgefallen, als er sich darin auch schon vor Scham und Unbehagen verzehrte. Jeden Morgen änderte er von neuem seine Zukunftspläne: Der Gedanke an eine Zeitung wurde als unwürdig aufgegeben; er ereiferte sich über seine Armut, die es ihm nicht erlaubte, sich in Ruhe einem großen literarischen oder historischen Werk zu widmen; dann liebäugelte er schließlich mit dem Plan, Lehrer zu werden und, wenn es sein mußte, auch Prüfungen abzulegen, um sich den notwendigen Broterwerb für seine Arbeit als Literat zu sichern. Zwischen Pauline und ihm schien nur ihre Kameradschaft von früher zu bestehen, wie eine gewohnte Zuneigung, die sie zu Bruder und Schwester machte. Er sprach in dieser engen Vertrautheit nie von ihrer Heirat, sei es, daß er sie völlig vergessen hatte, sei es, daß er sie für eine allzu häufig wiederholte Angelegenheit hielt, die sich von selbst verstand. Auch sie vermied es, davon zu sprechen, überzeugt, daß er beim ersten Wort zustimmen würde. Und indessen begehrte Lazare sie von Tag zu Tag weniger; sie fühlte es, ohne zu begreifen, daß ihr Unvermögen, ihn von der Langeweile zu retten, keine andere Ursache hatte.
    Eines Abends in der Dämmerung ging sie hinauf, ihm zu sagen, daß das Essen aufgetragen sei, und überraschte ihn dabei, wie er hastig einen Gegenstand versteckte, den sie nicht zu erkennen vermochte.
    »Was hast du denn da?« fragte sie lachend. »Verse für meinen Namenstag?«
    »Aber nein«, sagte er sehr erregt mit stammelnder Stimme. »Gar nichts.«
    Es war ein von Louise vergessener alter Handschuh, den er hinter einem Stapel Bücher wiedergefunden hatte. Der Handschuh aus feinem Leder hatte einen strengen Geruch bewahrt, jenen eigentümlichen Wildgeruch, den das bevorzugte Parfüm des jungen Mädchens, Heliotrop, durch einen Hauch Vanille milderte; und sehr empfänglich für Wohlgerüche, durch diese Mischung von Blume und Fleisch heftig verwirrt, war er außer sich geraten, den Handschuh am Mund, die Wollust seiner Erinnerungen trinkend.
    Von diesem Tage an begann er über die gähnende Leere hinweg, die der Tod seiner Mutter in ihm auftat, von neuem Louise zu begehren. Er hatte sie zweifellos nie vergessen; doch sie schlummerte in seinem Schmerz, und es bedurfte nur eines Gegenstandes von ihr, um sie mit der Wärme seines Atems wieder zum Leben zu erwecken. Wenn er allein war, nahm er den Handschuh hervor, atmete seinen Duft, küßte ihn, glaubte, daß er sie von neuem mit beiden Armen umschlungen hielt, den Mund in ihren Nacken vergraben. Das nervöse Unbehagen, in dem er lebte, die durch seinen langen Müßiggang geförderte Erregbarkeit machten diesen sinnlichen Rausch noch lebendiger. Es waren regelrechte Ausschweifungen, in denen er sich erschöpfte. Und ging er auch unzufrieden mit sich daraus hervor, so verfiel er dennoch wieder darein, fortgerissen von einer Leidenschaft, über die er nicht Herr war. Das steigerte seine

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