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Die Freude am Leben

Die Freude am Leben

Titel: Die Freude am Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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Rührung ergriffen.
    »Gewiß, ich werde ihr schon nichts zuleide tun«, sagte Chanteau.
    »Sie ist reizend«, fügte Lazare hinzu. »Ich habe sie schon sehr gern.«
    Doch Mathieu, der in seinem Schlummer den Tee gerochen, hatte sich geschüttelt und seinen mächtigen Kopf wieder auf den Rand des Tisches gelegt. Auch Minouche reckte sich, machte gähnend einen Buckel. Es war ein allgemeines Erwachen, die Katze machte schließlich einen langen Hals, um das Paket mit den Wertpapieren in dem fettigen Pappdeckel zu beschnuppern. Und als die Chanteaus ihre Blicke wieder auf Pauline richteten, sahen sie, daß sie mit weit geöffneten Augen auf die Papiere starrte, auf dieses zerlumpte alte Rechnungsbuch, das sie dort wiederfand.
    »Oh, sie weiß ganz genau, was darin ist!« begann Frau Chanteau wieder. »Nicht wahr, mein Herzchen, ich habe es dir dort in Paris gezeigt ... Es ist das, was dein armer Vater und deine arme Mutter dir hinterlassen haben.«
    Tränen rollten über die Wangen des kleinen Mädchens. Ihr Kummer kehrte immer noch wieder, wie plötzlicher Frühlingsregen. Schon lächelte sie unter Tränen, sie hatte ihren Spaß an Minouche, die, zweifellos angelockt durch den Geruch, lange an den Wertpapieren gerochen hatte und nun wieder zu tänzeln und zu schnurren begann und dabei heftig mit dem Kopf an die Ecken des Rechnungsbuches stieß.
    »Minouche, willst du das wohl lassen!« rief Frau Chanteau. »Man spielt nicht mit Geld!«
    Chanteau lachte, Lazare ebenfalls. Mathieu verschlang mit seinen glühenden Augen die Papiere, die er wohl für eine Leckerei hielt, und bellte über den Tischrand hinweg aufgeregt die Katze an. Und die ganze Familie lachte laut. Entzückt von diesem Spiel, hatte Pauline Minouche in die Arme genommen und wiegte und liebkoste sie wie eine Puppe.
    Da Frau Chanteau Angst hatte, die Kleine könne wieder einschlafen, ließ sie sie gleich ihren Tee trinken. Dann rief sie Véronique.
    »Gib uns die Leuchter ... Wir reden und reden und denken nicht ans Zubettgehen. Dabei ist es schon zehn Uhr! Und ich schlief schon beim Essen ein!«
    Doch eine Männerstimme wurde in der Küche laut, und sie fragte das Hausmädchen, als dieses die vier angezündeten Leuchter gebracht hatte:
    »Mit wem unterhältst du dich denn?«
    »Das ist Prouane, Madame ... Er will Herrn Chanteau sagen, daß es unten nicht gut steht. Die Flut zerschlägt alles, wie es scheint.«
    Chanteau hatte einwilligen müssen, Bürgermeister von Bonneville zu werden, und Prouane, ein Trunkenbold, der Abbé Horteur als Küster diente, versah außerdem das Amt eines Gemeindeschreibers. Er hatte es bei der Flotte zu einem Dienstgrad gebracht und schrieb wie ein Schulmeister. Als man ihn hereingerufen hatte, trat er, seine Wollmütze in der Hand, Jacke und Stiefel patschnaß, ins Zimmer.
    »Nun, was ist denn, Prouane?«
    »Ach, Herr Chanteau! Das Haus der Familie Cuche ist erst mal hin ... Wenn das jetzt so weitergeht, wird das von den Gonins drankommen ... Wir waren alle da, Tourmal, Houtelard, ich, die anderen. Aber was soll man machen! Man vermag nichts gegen dieses Luder, es steht eben geschrieben, daß es uns jedes Jahr ein Stück Land wegnimmt.«
    Schweigen trat ein. Die vier Kerzen brannten mit hoher Flamme, und man hörte das Meer, das Luder, an die Felsenküste branden. Zu dieser Stunde hatte es seinen höchsten Wasserstand erreicht, jede hereinbrechende Woge erschütterte das Haus. Es hörte sich an wie die Detonationen einer gigantischen Artillerie, dumpfe und regelmäßige Kanonenschüsse mitten im Geprassel der auf die Felsen geschleuderten Uferkiesel, das einem unausgesetzten Gewehrgeknatter glich. Und in diesem Getöse stieß der Wind das Geheul seiner Klage aus, verdoppelte der Regen für Augenblicke seine Gewalt und schien die Mauern mit einem Geschoßhagel zu peitschen.
    »Das ist das Ende der Welt«, murmelte Frau Chanteau. »Und die Cuches, wo werden sie nun unterkommen?«
    »Man wird sie wohl unterbringen müssen«, erwiderte Prouane. »Einstweilen sind sie schon bei den Gonins ... Wenn Sie das gesehen hätten! Der kleine Dreijährige pudelnaß! Und die Mutter im Unterrock, alles war zu sehen, was sie hat, mit Verlaub zu sagen! Und der Vater, dem der Kopf von einem Balken halb gespalten war und der unbedingt die paar Habseligkeiten retten wollte!«
    Pauline war vom Tisch aufgestanden. Ans Fenster zurückgekehrt, hörte sie mit dem Ernst einer Erwachsenen zu. Auf ihrem Gesicht spiegelte sich tiefbekümmerte Güte,

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