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Die Freude am Leben

Die Freude am Leben

Titel: Die Freude am Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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führte, schob diese sie sanft vorwärts.
    »Geh geradeaus ... Hier ist ein Gastzimmer, und gegenüber ist mein Schlafzimmer ... Komm einen Augenblick herein, ich will es dir zeigen.«
    Es war ein Schlafzimmer, dessen Wände mit gelbem, grüngeblümtem Kretonne bespannt waren und das sehr einfach mit Mahagonimöbeln eingerichtet war: ein Bett, ein Schrank, ein Sekretär. In der Mitte stand ein Tischchen auf einer roten Brücke. Als Frau Chanteau mit ihrer Kerze in die kleinsten Winkel geleuchtet hatte, trat sie an den Sekretär und ließ dessen Klappe herunter.
    »Da, sieh her«, sagte sie.
    Sie hatte eines der kleinen Schubfächer herausgezogen, in das sie seufzend Davoines unglückselige Bilanzaufstellung legte. Dann machte sie ein anderes Schubfach darüber leer, zog es heraus, schüttelte es aus, damit alte Krümel herausfielen, und während sie sich anschickte, vor den Augen des Kindes die Wertpapiere darin zu verschließen, sagte sie:
    »Siehst du, ich lege sie dort hinein, sie werden ganz allein sein ... Willst du sie selber hineinlegen?«
    Pauline empfand eine Scham, die sie nicht hätte erklären können. Sie errötete.
    »Oh, Tante, das ist doch nicht nötig!«
    Aber schon hatte sie das alte Rechnungsbuch in der Hand, und sie mußte es ganz tief in das Schubfach legen, während Lazare mit der Kerze in das Möbelstück hineinleuchtete.
    »So«, fuhr Frau Chanteau fort. »Du bist jetzt sicher, und sei unbesorgt, wir würden daneben vor Hunger sterben ... Denk daran, das erste Schubfach links. Sie werden erst an dem Tage wieder daraus hervorkommen, an dem du groß genug bist, um sie selber an dich zu nehmen ... Na? Da drin kann sie Minouche sicher nicht fressen.«
    Bei der Vorstellung, daß Minouche den Sekretär öffnen und die Papiere fressen könnte, mußte Pauline hell auflachen. Ihre kurze Verlegenheit war verschwunden, sie spielte mit Lazare, der, um sie zu belustigen, wie die Katze schnurrte und so tat, als habe er es auf das Schubfach abgesehen. Er lachte ebenfalls aus vollem Herzen. Doch seine Mutter hatte feierlich die Klappe wieder geschlossen, und sie drehte mit energischer Hand zweimal den Schlüssel herum.
    »Das wär's«, sagte sie. »Hör mal, Lazare, sei nicht albern ... Jetzt gehe ich mit nach oben, um mich zu vergewissern, daß es ihr auch an nichts fehlt.«
    Und alle drei stiegen sie wieder einer hinter dem anderen die Treppe hoch. Im zweiten Stockwerk hatte Pauline von neuem gezögert und dann die Tür zur Linken geöffnet, als ihre Tante ihr auch schon zurief:
    »Nein, nein, nicht auf dieser Seite! Das ist das Zimmer deines Cousins. Dein Zimmer ist gegenüber.«
    Pauline blieb unbeweglich stehen, hingerissen von der Größe des Raumes und dem Rumpelkammerwirrwarr, mit dem er vollgepfropft war: ein Klavier, ein Diwan, ein riesiger Tisch, Bücher, Bilder. Schließlich stieß sie die andere Tür auf und war entzückt, obgleich ihr das Zimmer, verglichen mit dem anderen, ganz klein erschien. Die Tapete hatte einen elfenbeinfarbenen Grund und war mit blauen Rosen übersät. Ein eisernes, mit Musselinvorhängen versehenes Bett, ein Toilettentisch, eine Kommode und drei Stühle standen darin.
    »Alles ist da«, murmelte Frau Chanteau. »Wasser, ein Zuckerstückchen, Handtücher, Seife ... Und schlaf ruhig. Véronique schläft in der Kammer nebenan. Wenn du dich graulst, klopfe an die Wand.«
    »Außerdem bin ich da«, erklärte Lazare. »Wenn ein Gespenst auftaucht, komme ich mit meinem großen Säbel.«
    Die Türen der beiden einander gegenüberliegenden Zimmer waren offengeblieben. Pauline ließ ihre Blicke von einem Raum zum anderen schweifen.
    »Es gibt keine Gespenster«, sagte sie in ihrer heiteren Art. »Ein Säbel, der ist für Diebe ... Gute Nacht, Tante. Gute Nacht, Lazare.«
    »Gute Nacht, mein Liebling ... Wirst du dich allein ausziehen können?«
    »Oh! Ja, ja ... Ich bin doch kein kleines Mädchen mehr. In Paris habe ich alles allein gemacht.«
    Sie umarmten Pauline. Während Frau Chanteau sich zurückzog, sagte sie zu ihr, sie könne ihre Tür zuschließen. Doch schon stand das Kind am Fenster, ungeduldig, zu wissen, ob der Blick auf das Meer hinausging. Der Regen rann mit solcher Heftigkeit über die Scheiben, daß sie das Fenster nicht zu öffnen wagte. Es war sehr dunkel, sie war jedoch glücklich, das Meer zu ihren Füßen branden zu hören. Und obgleich sie vor Müdigkeit fast im Stehen einschlief, machte sie die Runde durch das Zimmer und betrachtete die Möbel. Bei dem

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