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Die Freude am Leben

Die Freude am Leben

Titel: Die Freude am Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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leidenschaftliche Anteilnahme, von der ihre vollen Lippen zitterten.
    »Oh, Tante!« sagte sie. »Die armen Leute!«
    Und ihre Blicke schweiften nach draußen in diesen schwarzen Abgrund, in dem die Finsternis noch undurchdringlicher geworden war. Man spürte, daß das Meer bis zur Landstraße galoppiert war, daß es jetzt dort brüllend hochwogte; doch man sah es noch immer nicht, es schien das kleine Dorf, die Felsen der Küste, den ganzen Horizont in tintenschwarzen Fluten ertränkt zu haben. Das war für die Kleine eine schmerzliche Überraschung. Dieses Wasser, das ihr so schön erschienen war und das sich nun auf die Leute stürzte!
    »Ich gehe mit Ihnen hinunter, Prouane«, rief Lazare. »Vielleicht gibt es etwas zu tun.«
    »O ja, Lazare!« murmelte Pauline, deren Augen strahlten.
    Doch der Mann schüttelte den Kopf.
    »Es lohnt nicht, daß Sie sich bemühen, Herr Lazare, Sie würden nicht mehr ausrichten als die Kumpels. Wir stehen da und können nur zusehen, wie es uns zusammenschlägt, solange es ihm gefällt; und wenn es ihm nicht mehr gefällt, nun ja, dann müssen wir ihm noch dankbar dafür sein ... Ich wollte nur einfach den Herrn Bürgermeister benachrichtigen.«
    Da wurde Chanteau böse, er war ärgerlich über dieses Drama, das ihn um seine Nachtruhe bringen würde und mit dem er sich am nächsten Tage würde beschäftigen müssen.
    »Ein so dämlich gebautes Dorf kann man sich überhaupt nicht vorstellen«, rief er. »Ihr seid regelrecht unter die Wogen gekrochen, wahrhaftigen Gottes! Es ist nicht verwunderlich, wenn das Meer eure Häuser eins nach dem anderen verschlingt ... Und im übrigen, warum bleibt ihr in diesem Nest? Ihr könnt doch fortgehen.«
    »Wohin denn?« fragte Prouane, der mit verdutzter Miene zuhörte. »Wir sind hier, Herr Chanteau, und wir bleiben hier ... Irgendwo muß man doch sein.«
    »Das stimmt«, sagte Frau Chanteau abschließend. »Und sehen Sie, hier oder woanders, man hat immer seine Plage ... Wir wollten gerade schlafen gehen. Gute Nacht. Morgen wird klares Wetter sein.«
    Der Mann grüßte und ging, und man hörte, wie Véronique hinter ihm die Riegel vorschob. Jeder hielt seinen Leuchter in der Hand, man streichelte noch einmal Mathieu und Minouche, die gemeinsam in der Küche schliefen. Lazare hatte seine Noten zusammengerafft, während sich Frau Chanteau die Wertpapiere in dem alten Rechnungsbuch unter den Arm klemmte. Sie nahm gleichfalls Davoines Bilanzaufstellung vom Tisch, die ihr Mann dort vergessen hatte. Der Anblick dieses Papiers zerriß ihr das Herz, es war nicht nötig, es überall herumliegen zu sehen.
    »Wir gehen nach oben, Véronique«, rief sie. »Du wirst dich doch zu dieser Stunde nicht noch herumtreiben?«
    Und da aus der Küche nur ein Brummen kam, fuhr sie leiser fort:
    »Was hat sie denn? Ich bringe ihr doch kein Wickelkind.«
    »Laß sie in Ruhe«, sagte Chanteau. »Du weißt, daß sie ihre Launen hat ... Na? Wir sind ja alle vier soweit. Also, gute Nacht.«
    Er schlief im Erdgeschoß am anderen Ende des Flures, in der ehemaligen guten Stube, die in ein Schlafzimmer umgewandelt worden war. So konnte man, wenn ihn seine Gicht packte, bequem seinen Sessel an den Tisch oder auf die Terrasse rollen. Er öffnete die Tür, stand noch einen Augenblick da auf seinen schwerfälligen Beinen, die schon geplagt wurden vom heimlichen Nahen eines Anfalls, den die Steifheit seiner Gelenke ihm seit dem Abend zuvor ankündigte. Es war entschieden grundverkehrt von ihm gewesen, Gänseleberpastete zu essen. Diese Gewißheit brachte ihn jetzt zur Verzweiflung.
    »Gute Nacht«, wiederholte er weinerlich. »Ihr könnt immer schlafen, ihr da ... Gute Nacht, meine Süße. Ruh dich schön aus, das gehört sich so in deinem Alter.«
    »Gute Nacht, Onkel«, sagte Pauline und gab ihm einen Kuß.
    Die Tür schloß sich wieder. Frau Chanteau ließ die Kleine vor sich her hinaufgehen. Lazare folgte ihnen. »Mich braucht man heute abend wirklich nicht in den Schlaf zu wiegen«, erklärte die alte Dame. »Und überhaupt, mich schläfert das ein, dieses Getöse, das ist mir gar nicht unangenehm ... In Paris fehlte es mir, daß ich in meinem Bett nicht durchgeschüttelt wurde.«
    Alle drei gelangten ins erste Stockwerk. Pauline, die ihre Kerze sehr gerade hielt, hatte ihren Spaß an diesem Treppensteigen im Gänsemarsch, jeder mit einer Kerze, deren Licht Schatten tanzen ließ. Als sie zögernd auf dem Treppenabsatz stehenblieb, weil sie nicht wußte, wohin ihre Tante sie

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