Die Freude am Leben
müsse Lazare und Louise verheiraten. Den ganzen Tag über hatte ihr Schädel so gebrummt, daß sie nicht einen klaren Gedanken zu fassen vermochte; und erst zu dieser nächtlichen Stunde, da sie ohne Zeugen leiden konnte, fand sie endlich zu diesem unvermeidlichen Schluß. Man mußte sie verheiraten, das dröhnte in ihr wie ein Befehl, wie eine Stimme der Vernunft und der Gerechtigkeit, die sie nicht zum Schweigen bringen konnte. Einen Augenblick wandte sie, die so mutig war, sich entsetzt um, als sie die Stimme ihrer Tante zu hören glaubte, die ihr zurief, sie solle gehorchen. Da warf sie sich völlig angekleidet aufs Bett und vergrub den Kopf im Kissen, um ihre Schreie zu ersticken. Oh! Ihn einer anderen geben, ihn in den Armen einer anderen wissen, für immer, ohne die Hoffnung, ihn je wieder zurückzuholen! Nein, sie würde diesen Mut nicht haben, lieber wollte sie ihr elendes Leben weiterleben; niemand würde ihn bekommen, weder sie noch dieses Mädchen, und er selber würde in der Erwartung verdorren! Lange kämpfte sie mit sich, geschüttelt von einer eifersüchtigen Wut, die abscheuliche sinnliche Bilder vor ihr erstehen ließ. Immer siegte zuerst das Blut, eine Heftigkeit, die weder die Jahre noch die Klugheit besänftigten. Dann verfiel sie in eine tiefe Erschöpfung, ihr Fleisch war ausgelöscht.
Nun überlegte Pauline lange, auf dem Rücken ausgestreckt, ohne die Kraft zu finden, sich zu entkleiden. Es gelang ihr, sich zu beweisen, daß Louise mehr als sie zu Lazares Glück beitragen würde. Dieses so schwache Kind mit den Zärtlichkeiten einer Geliebten, hatte es ihn nicht schon seiner Langeweile entrissen? Bestimmt brauchte er sie so, ständig an seinem Halse hängend, mit ihren Küssen die düsteren Gedanken, die Schrecken des Todes verjagend. Und Pauline setzte sich selbst herab, fand sich zu kühl, ohne verliebte weibliche Anmut, nur mit Güte begabt, was den jungen Männern nicht genügt. Eine weitere Überlegung überzeugte sie vollends. Sie war ruiniert, und die Zukunftspläne ihres Cousins, jene Pläne, die sie beunruhigten, würden viel Geld erfordern. Sollte sie ihm diese ärmlichen Verhältnisse aufzwingen, in denen die Familie lebte, die Mittelmäßigkeit, unter der sie ihn leiden sah? Das wäre ein schreckliches Dasein, ein ständiges Bereuen, die zänkische Bitterkeit versäumten Ehrgeizes. Sie würde ihm den ganzen Groll gegen das Elend mit in die Ehe bringen, während Louise reich war und ihm die großen Stellungen öffnen konnte, von denen er träumte. Man versicherte, der Vater des jungen Mädchens halte für seinen Schwiegersohn eine fertige Position bereit; gewiß handelte es sich um eine Stellung in der Bank, und obgleich Lazare sich den Anschein gab, als verachte er die Finanzleute, würden sich die Dinge sicher arrangieren. Sie konnte nicht länger zögern, jetzt schien es ihr, als beginge sie eine gemeine Tat, wenn sie die beiden nicht verheiratete. In ihrer Schlaflosigkeit wurde ihr diese Heirat zur natürlichen und notwendigen Lösung, die sie beschleunigen mußte, wollte sie nicht die Achtung vor sich selbst verlieren.
Die ganze Nacht ging in diesem Kampf dahin. Als es Tag wurde, entkleidete Pauline sich endlich. Sie war sehr ruhig, sie genoß im Bett eine tiefe Ruhe, ohne schon schlafen zu können. Niemals hatte sie sich so leicht, so hochgestimmt, so losgelöst gefühlt. Alles nahm ein Ende, sie hatte soeben die Bande ihrer Selbstsucht zerschnitten, sie hoffte auf nichts und auf niemand mehr; und tief in ihrem Innern fühlte sie die subtile Wollust des Opfers. Sie fand nicht einmal ihren einstigen Willen wieder, dem Glück der Ihren zu genügen, jenes herrische Bedürfnis, das ihr zu dieser Stunde wie die letzte Verschanzung ihrer Eifersucht erschien. Der Stolz ihrer Selbstaufopferung war dahin, sie ließ es gelten, daß die Ihren ohne sie glücklich würden. Dies war der höchste Grad der Liebe zu den anderen: verschwinden, alles geben, ohne zu glauben, daß man genug gibt, so sehr lieben, daß man sich eines Glückes freut, welches man nicht geschaffen hat und an dem man nicht teilhaben wird. Die Sonne ging auf, als sie in tiefen Schlaf sank.
An jenem Tag ging Pauline sehr spät hinunter. Beim Erwachen hatte sie die Freude gehabt, ihre Entschlüsse vom Abend vorher klar und sicher in sich zu fühlen. Dann bemerkte sie, daß sie sich selbst dabei vergessen hatte und daß sie in der neuen Lage, die für sie entstehen würde, gleichwohl an das Morgen denken müsse. Wenn
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