Die Freude am Leben
mir etwas schuldig zu sein, müßtest du mir helfen, ihn zu überzeugen, denn du bist es, die er liebt, du bist es, die er braucht ... Ich bitte dich, sei meine Verbündete, laß uns alles gut verabreden, solange wir allein sind.«
Aber Louise fühlte sie so erschauern, so zerrissen in ihrem Flehen, daß sie sich ein letztes Mal auflehnte.
»Nein, nein, das kann ich nicht annehmen! Das wäre abscheulich, so etwas zu tun. Du liebst ihn noch immer, ich fühle es wohl, und du weißt nicht, was du erfinden sollst, um dich noch mehr zu quälen ... Statt dir zu helfen, werde ich ihm alles sagen. Ja, sowie er heimkommt ...«
Pauline umschlang sie von neuem mit ihren beiden barmherzigen Armen und hinderte sie daran, weiterzusprechen, indem sie ihren Kopf an ihre Brust drückte.
»Sei still, du böses Kind! Es muß sein, denken wir an ihn.«
Wieder trat Schweigen ein, eng umschlungen blieben sie sitzen. Louise, schon erschöpft, gab ihren Widerstand auf und fügte sich in ihrer schmeichlerisch hingebungsvollen Art; eine Flut von Tränen war wieder in ihre Augen gestiegen, jedoch sanfte Tränen, die langsam flossen. Ohne zu sprechen, drückte sie ihre Freundin von Zeit zu Zeit an sich, als könnte sie ihr nur so, mit aller Zurückhaltung und Herzlichkeit, danken. Pauline schien ihr so überlegen in der Großzügigkeit ihres blutenden Herzens, daß sie nicht einmal zu ihr aufzuschauen wagte, aus Angst, ihrem Blick zu begegnen. Nach einigen Minuten indessen wagte sie es, warf sie den Kopf in lächelnder Verwirrung zurück, hob dann die Lippen zu ihr empor und gab ihr einen stummen Kuß. Das Meer in der Ferne unter dem fleckenlosen Himmel hatte nicht eine Welle, die sein unermeßliches Blau unterbrach. Es war eine Reinheit, eine Schlichtheit, in der sie noch lange die Gedanken schweifen ließen, die sie nicht mehr aussprachen.
Als Lazare heimgekehrt war, suchte Pauline ihn in seinem Zimmer auf, in diesem geliebten großen Raum, in dem sie beide aufgewachsen waren. Sie wollte noch am selben Tag ihr Werk zu Ende führen. Bei ihm suchte sie keine Einleitung, sie sprach ohne Umschweife. Der Raum war voller Erinnerungen an früher: Trockene Algen lagen umher, das Modell der Buhnen nahm das ganze Klavier ein, der Tisch floß über von wissenschaftlichen Büchern und Notenblättern.
»Lazare«, fragte sie, »willst du dich mit mir unterhalten? Ich habe dir ernste Dinge zu sagen.«
Er schien überrascht und pflanzte sich vor ihr auf.
»Was denn? Ist etwas mit Papa?«
»Nein, hör zu ... Wir müssen endlich dieses Thema anschneiden, denn es führt zu nichts, wenn wir schweigen. Du erinnerst dich, daß Tante den Plan gefaßt hatte, uns zu verheiraten; wir haben viel darüber gesprochen, und seit Monaten ist nicht mehr die Rede davon. Nun gut, ich denke, es wäre jetzt vernünftig, diesen Plan aufzugeben.«
Der junge Mann war bleich geworden; doch er ließ sie nicht ausreden, er rief heftig:
»Was? Was erzählst du da? Bist du denn nicht meine Frau? Gleich morgen, wenn du willst, gehen wir zum Pfarrer und sagen ihm, er soll die Sache ins reine bringen ... Nennst du das ernste Dinge?«
Sie entgegnete mit ihrer ruhigen Stimme:
»Es ist sehr ernst, da du dich aufregst ... Ich sage dir noch einmal, wir müssen darüber reden. Gewiß, wir sind alte Freunde, aber ich fürchte sehr, daß wir nicht das Zeug zu zwei Liebesleuten in uns haben. Wozu uns auf einen Gedanken versteifen, der vielleicht für keinen von uns beiden das Glück bedeuten würde?«
Da stürzte sich Lazare in eine Flut zusammenhangloser Worte. Suchte sie Streit mit ihm? Er konnte doch nicht immerfort an ihrem Halse hängen. Wenn man die Heirat von Monat zu Monat hinausgeschoben hatte, so wußte sie ja, daß es nicht an ihm lag. Und es war ungerecht, ihm zu sagen, er liebe sie nicht mehr. Er hatte sie so sehr geliebt, gerade in diesem Zimmer, daß er sie nicht mit seinen Fingern zu streifen wagte, aus Furcht, sich hinreißen zu lassen und sich schlecht zu betragen. Bei dieser Erinnerung an die Vergangenheit stieg Röte in Paulines Wangen, er hatte recht, sie erinnerte sich dieses kurzen Begehrens, dieses glühenden Atems, mit dem er sie eingehüllt hatte. Doch wie fern waren diese Stunden köstlichen Erschauerns und welch kühle brüderliche Freundschaft bezeigte er ihr jetzt! Und so erwiderte sie traurig:
»Mein armer Freund, wenn du mich wirklich liebtest, würdest du, statt dich zu verteidigen, schon in meinen Armen liegen und schluchzen und andere Dinge finden,
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