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Die Freude am Leben

Die Freude am Leben

Titel: Die Freude am Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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zog, hob die Hebamme Louise an, um die Handtücher wegzunehmen, die ein dickflüssiger Blutstrom rot gefärbt hatte. Dann legten beide sie ausgestreckt hin, nachdem sie die Schenkel gewaschen, ein Tuch dazwischengelegt und den Leib mit einem breiten Leinentuch umwickelt hatten. Die Furcht vor einer Blutung quälte den Doktor noch immer, obgleich er sich vergewissert hatte, daß im Innern kein Blut mehr zurückgeblieben war und daß Louise ungefähr die normale Menge verloren hatte. Andererseits schien ihm die Nachgeburt vollständig; aber die Schwäche der Wöchnerin und vor allem der kalte Schweiß, der sie bedeckte, blieben sehr beängstigend. Sie rührte sich nicht mehr, wachsbleich lag sie da, das Bettuch bis zum Kinn heraufgezogen, erdrückt unter den Decken, die sie nicht wärmten.
    »Bleiben Sie«, sagte der Arzt, der Louises Puls nicht losließ, zur Hebamme. »Auch ich werde erst weggehen, wenn ich ganz beruhigt bin.«
    Auf der anderen Seite des Flurs, im ehemaligen Schlafzimmer von Frau Chanteau, kämpfte Pauline gegen die zunehmende Erstickung des jämmerlichen kleinen Wesens, das sie hierhergetragen hatte. Sie hatte es eilig auf einen Sessel vor dem großen Feuer gelegt; auf Knien liegend, tauchte sie ein Stück Leinen in eine Untertasse voll Alkohol und rieb das Kind ohne Unterlaß ein; hartnäckig glaubte sie an den Erfolg und fühlte nicht einmal den Krampf, der nach und nach ihren Arm steif werden ließ. Das kleine Wesen war von so armseligem Fleisch, von einer so erbarmungswürdigen Zerbrechlichkeit, daß sie große Angst hatte, es vollends zu töten, wenn sie allzu stark rieb. Mit liebkosender Sanftheit bewegte sie das Tuch auf dem kleinen Körper hin und her, wie wenn ihn unablässig der Flügel eines Vogels streifte. Sie drehte das Kind behutsam um, versuchte das Leben in jedes seiner kleinen Glieder zurückzurufen. Doch es bewegte sich noch immer nicht. Obgleich die Einreibungen es ein wenig erwärmten, blieb seine Brust doch eingefallen und hob sie noch kein Atemzug. Im Gegenteil, es schien immer blauer zu werden.
    Da preßte sie, ohne Widerwillen gegen dieses weiche, kaum gewaschene Gesicht zu empfinden, ihren Mund auf den kleinen leblosen Mund. Langsam, lange blies sie so, ihren Atem nach der Kraft der engen Lungen bemessend, in die die Luft nicht hatte eindringen können. Wenn sie selber zu ersticken drohte, mußte sie einige Sekunden innehalten; dann begann sie von neuem. Das Blut stieg ihr zu Kopf, in ihren Ohren dröhnte es, ihr wurde etwas schwindlig. Doch sie ließ nicht nach, sie gab so mehr als eine halbe Stunde lang ihren Atem hin, ohne durch das geringste Ergebnis ermutigt zu werden. Beim Atemholen schmeckte sie nur die Fadheit des Todes. Sehr sanft hatte sie vergebens versucht, den Brustkorb durch den Druck ihrer Fingerspitzen in Bewegung zu bringen. Nichts hatte Erfolg, jede andere hätte diesen aussichtslosen Erweckungsversuch aufgegeben. Aber sie mühte sich mit der hartnäckigen Verzweiflung einer Mutter, die das unvollkommen geborene Kind ihres Leibes vollends zur Welt bringen will. Es sollte leben, und endlich spürte sie, wie der kleine Körper sich belebte, der kleine Mund war unter dem ihren leicht erzittert.
    Seit nahezu einer Stunde führte sie mit verzweifelter Angst diesen Kampf, allein in diesem Zimmer, alles um sich her vergessend. Das schwache Lebenszeichen, die so kurze Empfindung an ihren Lippen, machte ihr wieder Mut. Sie begann von neuem mit den Einreibungen und gab im Wechsel weiter von Minute zu Minute ihren Atem, wobei sie sich in ihrer überströmenden Barmherzigkeit verausgabte. Es war ein wachsendes Bedürfnis, zu siegen, Leben zu schaffen. Einen Augenblick fürchtete sie, sich getäuscht zu haben, denn ihre Lippen drückten sich noch immer nur auf reglose Lippen. Dann spürte sie von neuem eine flüchtige Bewegung. Nach und nach drang die Luft ein, wurde ihr genommen und zurückgegeben. Ihr schien, als hörte sie, wie unter ihrer Brust das Herz zu schlagen begann. Und ihr Mund ließ nicht mehr von dem kleinen Mund, sie war eins mit dem kleinen Wesen, sie lebte mit ihm, beide zusammen hatten sie nur noch einen Atem in diesem Wunder der Wiedererweckung, einen langsamen, anhaltenden Atem, der von einem zum anderen ging wie eine gemeinsame Seele. Gallert, Schleim beschmutzten ihr die Lippen, doch ihre Freude, das Kind gerettet zu haben, nahm ihr jedes Gefühl des Ekels: Sie atmete jetzt eine warme Herbheit von Leben ein, die sie berauschte. Als das Kleine

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