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Die Freude am Leben

Die Freude am Leben

Titel: Die Freude am Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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endlich schrie, einen schwachen, klagenden Schrei ausstieß, sank sie vor dem Sessel nieder, bis ins Innerste aufgewühlt.
    Das große Feuer brannte sehr hoch und erfüllte das Zimmer mit hellem Licht. Pauline blieb auf der Erde vor dem Kinde sitzen, das sie noch nicht betrachtet hatte. Wie schwächlich es war! Welch armes, kaum geformtes Wesen! Und ein letzter Aufruhr stieg in ihr auf, ihre Gesundheit empörte sich gegen diesen jämmerlichen Sohn, den Louise Lazare schenkte. Sie senkte einen verzweifelten Blick auf ihre Hüften, auf ihren jungfräulichen Leib, der erschauernd zusammengezuckt war. In ihrem breiten Schoß hätte ein kräftiger, starker Sohn Platz gehabt. Es befiel sie ein unermeßliches Bedauern über ihr verfehltes Dasein, über ihre Weiblichkeit, die unfruchtbar schlummern würde. Der Anfall, bei dem sie in der Hochzeitsnacht Todesqualen gelitten, wiederholte sich angesichts dieser Geburt. Gerade an diesem Morgen war sie blutbefleckt vom vergeblichen Fluß ihrer Fruchtbarkeit erwacht; und nach den Aufregungen dieser schrecklichen Nacht fühlte sie ihn in ebendiesem Augenblick unter sich wie ein nutzloses Wasser dahinfließen. Niemals würde sie Mutter sein, darum hätte sie gewollt, daß alles Blut ihres Körpers versiege und auf solche Weise dahinschwinde, da sie ja doch kein Leben daraus schaffen konnte. Wozu ihre kraftvolle Geschlechtsreife, ihre saftgeschwellten Organe und Muskeln, der starke Duft, der von ihrem Fleisch emporstieg, dessen Kraft in braunem Erblühen sproß? Sie würde wie ein unbebautes Feld bleiben, das abseits verdorrt. Anstelle der jämmerlichen Frühgeburt, die gleich einem nackten Insekt da auf dem Sessel lag, sah sie den kräftigen Knaben vor sich, der aus ihrer Ehe hervorgegangen wäre, und sie konnte sich nicht trösten und beweinte das Kind, das sie nicht haben würde.
    Aber das armselige Wesen schrie noch immer. Es zappelte, sie hatte Angst, es könnte herunterfallen. Da erwachte ihre Barmherzigkeit angesichts von so viel Häßlichkeit und Schwäche. Sie würde ihm wenigstens Erleichterung verschaffen, würde ihm helfen zu leben, wie sie die Freude gehabt hatte, ihm bei der Geburt zu helfen. Und im Vergessen ihrer selbst ließ sie ihm nun vollends die erste Pflege angedeihen, nahm ihn auf den Schoß und weinte wiederum Tränen, in die sich das Bedauern um ihre Mutterschaft und ihr Mitleid für das Elend aller Lebenden mischte.
    Frau Bouland, die gerufen worden war, half ihr beim Waschen des Neugeborenen. Sie hüllten ihn zunächst in ein warmes Tuch, dann zogen sie ihn an und legten ihn auf das Bett des Schlafzimmers, bis man die Wiege hergerichtet hatte. Die Hebamme, höchst erstaunt, ihn am Leben zu finden, hatte ihn sorgfältig untersucht; sie sagte, er scheine normal gewachsen, aber man werde dennoch viel Mühe haben, ihn aufzuziehen, weil er so schwächlich sei. Im übrigen beeilte sie sich, zu Louise zurückzukehren, die noch immer in großer Gefahr schwebte.
    Als Pauline sich neben dem Kinde niederließ, kam nun auch Lazare herein, den man von dem Wunder in Kenntnis gesetzt hatte.
    »Komm und sieh ihn dir an«, sagte sie bewegt.
    Er trat näher, doch er zitterte; er konnte sich nicht enthalten zu sagen:
    »Mein Gott! Du hast ihn in dieses Bett gelegt!«
    Schon an der Tür war er zusammengezuckt. Dieses verlassene, noch von Trauer verdüsterte Zimmer, das man so selten betrat, war jetzt von Wärme und Licht erfüllt, belebt durch das Knistern des Feuers. Die Möbel waren indessen an ihrem Platz geblieben, die Stutzuhr zeigte noch immer sieben Uhr siebenunddreißig Minuten an, niemand hatte dort gewohnt, seit seine Mutter darin gestorben war. Und in ebendem Bett, in dem sie ihren Geist aufgegeben hatte, in diesem geheiligten und furchtbaren Bett sah er nun sein Kind wiedergeboren werden, ganz klein inmitten der riesigen Bettücher.
    »Stört dich das?« fragte Pauline überrascht.
    Er verneinte mit einem Kopfschütteln, er vermochte nicht zu sprechen, so sehr würgte ihn die innere Bewegung. Dann stammelte er endlich:
    »Ich mußte nur an Mama denken ... Sie ist dahingegangen, und nun ist da ein anderer, der wie sie dahingehen wird. Warum ist er gekommen?«
    Schluchzen erstickte seine Stimme. Sosehr er bemüht war zu schweigen, seine Angst und sein Ekel vor dem Leben kamen seit der fürchterlichen Entbindung Louises wieder zum Ausbruch. Als er den Mund auf die runzlige Stirn des Kindes gedrückt hatte, wich er zurück, denn er hatte vermeint, den Schädel unter

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