Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Freude am Leben

Die Freude am Leben

Titel: Die Freude am Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
Vom Netzwerk:
unausgesetzt drang das Meer vor und verschlang jedes Jahr einen Zipfel des Landes. Es gab auf dem Strandgeröll nur noch die eroberungssüchtigen Wogen, die sogar die Spuren der Trümmer auslöschten. Die Fischer, aus dem Loch verjagt, in dem Generationen unter der ewigen Bedrohung eigensinnig ausgeharrt hatten, waren wohl oder übel gezwungen gewesen, höher hinaufzusteigen, in den Hohlweg, und dort kampierten sie in Haufen, die Reichsten bauten, die anderen suchten unter den Felsen Zuflucht, alle gründeten ein neues Bonneville, bis die Flut sie nach weiteren Jahrhunderten des Kampfes abermals verdrängen würde. Um sein Zerstörungswerk zu vollenden, hatte das Meer zunächst die Buhnen und Palisaden fortreißen müssen. An jenem Tage wehte der Wind von Norden, ungeheure Wassermassen stürzten mit einem solchen Getöse zusammen, daß die Erschütterungen die Kirche erzittern ließen. Lazare, den man in Kenntnis gesetzt, hatte nicht hinuntergehen wollen. Er war auf der Terrasse geblieben und hatte zugesehen, wie die Flut kam, während die Fischer, durch diesen wütenden Angriff in Aufregung versetzt, hinliefen. Ein mit Schrecken gemischter Stolz brach aus ihnen hervor: Das Luder sollte ruhig richtig brüllen, dann würde es wenigstens mit Lazares Kram endlich aufräumen. In weniger als zwanzig Minuten war in der Tat alles verschwunden, waren die Palisaden aufgeschlitzt, die Buhnen zertrümmert und kurz und klein geschlagen. Und die Fischer brüllten mit diesem Luder, sie gestikulierten und tanzten wie Wilde, vom Rausch des Windes und des Wassers aufgeputscht, dem Grauen dieses Gemetzels nachgebend. Dann hatten sie, während Lazare ihnen die Faust zeigte, das Weite gesucht, den wütenden Galopp der Wogen auf den Fersen, den nichts mehr aufhielt. Jetzt krepierten sie vor Hunger, jammerten in dem neuen Bonneville, während sie dem Luder die Schuld an ihrem Untergang gaben und sich der Mildtätigkeit des guten Fräuleins anempfahlen.
    »Was tust du hier?« rief Pauline, als sie den jungen Houtelard erblickte. »Ich hatte dir doch verboten, noch einmal herzukommen.«
    Er war jetzt ein großer Bursche von bald zwanzig Jahren. Seine traurige und furchtsame Haltung eines geschlagenen Kindes hatte sich in Hinterhältigkeit verwandelt. Er antwortete mit niedergeschlagenen Augen:
    »Sie müssen Mitleid mit uns haben, Mademoiselle Pauline. Wir sind so unglücklich, seit der Vater tot ist!«
    Houtelard, der eines Abends bei Unwetter aufs Meer hinausgefahren war, war niemals zurückgekehrt; man hatte auch nichts gefunden, weder seinen Leichnam noch den seines Matrosen, noch eine Planke des Bootes. Aber Pauline, zum Haushalten mit ihren Almosen gezwungen, hatte geschworen, weder dem Sohn noch der Witwe etwas zu geben, solange sie in aller Öffentlichkeit in ehelicher Gemeinschaft lebten. Gleich nach dem Tode des Vaters hatte die Stiefmutter, diese ehemalige Magd, die den Kleinen aus Geiz und Bosheit halbtot geschlagen hatte, ihn zu ihrem Mann gemacht, jetzt, da er zu alt war, um noch geschlagen zu werden. Ganz Bonneville lachte über diese neue Übereinkunft.
    »Du weißt, weshalb du nicht mehr zu mir kommen sollst«, sagte Pauline. »Wenn du dein Verhalten geändert hast, werden wir sehen.«
    Da verteidigte er sich mit schleppender Stimme.
    »Sie hat es gewollt. Sie hätte mich sonst weiter geschlagen. Und außerdem ist sie nicht meine Mutter, das macht nichts aus, ob sie mit mir oder mit einem anderen ... Geben Sie mir etwas, Mademoiselle Pauline. Wir haben alles verloren. Ich selber wüßte mir schon zu helfen; aber es ist für sie, denn sie ist krank, oh, wirklich, ich schwöre es!«
    Von Mitleid gerührt, schickte ihn Pauline schließlich mit einem Brot und einem Topf Rindfleischsuppe fort. Sie versprach sogar, die Kranke zu besuchen und ihr Heilmittel zu bringen.
    »Ach ja, Heilmittel!« murmelte Chanteau. »So was wird die gerade schlucken! Die will nur Fleisch.«
    Pauline war schon mit der kleinen Prouane beschäftigt, deren Wange übel zugerichtet war.
    »Wie hast du das fertigbekommen?«
    »Ich bin gegen einen Baum gefallen, Mademoiselle Pauline.«
    »Gegen einen Baum? Ich möchte eher meinen, du hast dich an einer Möbelkante gestoßen.«
    Das jetzt erwachsene Mädchen mit den vorspringenden Wangenknochen, das immer noch die großen verstörten Augen einer Verrückten hatte, machte vergebliche Anstrengungen, sich hübsch gerade zu halten. Ihre Beine gaben nach, ihrer schweren Zunge gelang es nicht, die Worte deutlich

Weitere Kostenlose Bücher