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Die Freude am Leben

Die Freude am Leben

Titel: Die Freude am Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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nicht aus dem Auge. Nachdem er die vierzig Sous und das Brot aufgehoben hatte, rannte er davon.
    »So ein Wilder!« rief Chanteau. »Er wird eines Nachts wiederkommen und uns alle erwürgen ... Das ist wie mit dieser Zuchthäuslerstochter da, ich lege meine Hand ins Feuer, daß sie mir neulich mein Halstuch gestohlen hat.«
    Er sprach von der kleinen Tourmal, deren Großvater dem Vater ins Gefängnis nachgefolgt war. Sie war allein mit der vor Trunkenheit stumpfsinnigen kleinen Prouane auf der Bank zurückgeblieben. Sie schien nicht gehört zu haben, daß man sie des Diebstahls beschuldigte, war aufgestanden und hatte zu jammern begonnen.
    »Haben Sie Mitleid, mein gutes Fräulein ... Jetzt sind nur noch Mutter und ich zu Hause, die Gendarmen kommen jeden Abend herein, um uns zu schlagen, mein Körper ist eine einzige Wunde, die Mutter ist nahe daran, zu sterben ... Oh, mein gutes Fräulein, wir brauchten Geld und fette Brühe und guten Wein ...«
    Chanteau, durch diese Lügen aufgebracht, bewegte sich in seinem Sessel. Aber Pauline hätte ihr Hemd hingegeben.
    »Sei still«, murmelte sie. »Du würdest mehr bekommen, wenn du nicht soviel reden wolltest ... Bleib da, ich mache dir einen Korb zurecht.«
    Als sie mit einem alten Fischkorb wiederkam, in den sie ein Brot, zwei Liter Wein und Fleisch gelegt hatte, fand sie auf der Terrasse noch eine von ihren Schutzbefohlenen vor, die kleine Gonin, die ihre Tochter mitbrachte, ein schon zwanzig Monate altes kleines Mädchen. Die sechzehnjährige Mutter war so zerbrechlich, so wenig entwickelt, daß sie die ältere Schwester zu sein schien, die ihre jüngere Schwester spazierenführt. Sie hatte Mühe, die Kleine zu tragen, aber sie schleppte sie so, da sie wußte, daß Fräulein Pauline Kinder vergötterte und ihnen nichts abschlug.
    »Mein Gott, wie dick sie ist!« rief Pauline aus und nahm das Mädchen auf den Arm. »Und dabei ist sie nicht einmal sechs Monate älter als unser Paul!«
    Gegen ihren Willen richtete sich ihr Blick voll Traurigkeit wieder auf den Kleinen, der mitten auf der Decke noch immer schlief. Diese ledige Mutter, die so jung niedergekommen, hätte glücklich sein müssen, ein so kräftiges Kind zu haben. Statt dessen beklagte sie sich.
    »Wenn Sie wüßten, was sie ißt, Mademoiselle Pauline! Und ich habe keine Wäsche, ich weiß nicht, wie ich sie anziehen soll ... Dabei fallen, seit der Vater tot ist, die Mutter und ihr Kerl über mich her. Sie behandeln mich wie den letzten Dreck; wenn man ein liederliches Leben führt, sagen sie, dann muß das etwas einbringen, anstatt etwas zu kosten.«
    Man hatte in der Tat den alten Siechen eines Morgens tot in seiner Kohlenkiste gefunden; und er war so blutig geschlagen, daß sich beinahe die Polizei eingemischt hätte. Jetzt sprachen die Frau und ihr Geliebter davon, diese unnütze Rotznase zu erwürgen, die ihren Teil von der Suppe beanspruchte.
    »Arme Kleine!« murmelte Pauline. »Ich habe Sachen beiseite gelegt, und ich bin dabei, ihr Strümpfe zu stricken ... Du solltest sie mir öfter herbringen, es gibt hier immer Milch, sie würde Grießsüppchen bekommen ... Ich werde zu deiner Mutter gehen und ihr angst machen, da sie dir immer noch droht.«
    Die kleine Gonin hatte ihre Tochter wieder an sich genommen, während Pauline auch für sie ein Bündel zurechtmachte. Sie hatte sich gesetzt und hielt das Kind mit der Ungeschicklichkeit eines kleinen Mädchens, das mit seiner Puppe spielt, auf dem Schoß. Ihre hellen Augen verrieten noch immer ihr Erstaunen, so eine Tochter zu haben, und obgleich sie sie genährt hatte, hatte sie sie oft um ein Haar fallen lassen, wenn sie sie an ihrer flachen Brust wiegte. Das Fräulein hatte sie eines Tages streng gescholten, als sie und die kleine Prouane sich gegenseitig mit Steinen bewarfen und sie zu diesem Zweck ihr Kind am Rande der Landstraße auf einen Steinhaufen gelegt hatte.
    Aber Abbé Horteur erschien auf der Terrasse.
    »Da kommen Herr Lazare und der Doktor«, meldete er.
    Man hörte im selben Augenblick das Geräusch des Wagens; und während Martin, der ehemalige Matrose mit dem Holzbein, das Pferd in den Stall brachte, kam Cazenove vom Hof und rief:
    »Ich bringe Ihnen einen Burschen zurück, der heute nacht woanders geschlafen hat, wie es scheint. Sie werden ihm doch nicht den Kopf abschneiden?«
    Lazare kam nun auch, mit einem blassen Lächeln. Er alterte zusehends, hatte gebeugte Schultern, ein erdfarbenes Gesicht, gleichsam von der inneren Angst

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