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Die Freude am Leben

Die Freude am Leben

Titel: Die Freude am Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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auszusprechen.
    »Du hast ja getrunken, du fürchterliches Frauenzimmer!« rief Pauline und sah sie fest an.
    »Oh, Mademoiselle Pauline! Wie können Sie das sagen!«
    »Du bist betrunken, und du bist zu Hause gefallen, nicht wahr? Ich weiß nicht, was ihr alle im Leibe habt ... Setz dich, ich werde Arnika und Leinwand holen.«
    Sie verband die Kleine und machte ihr dabei Vorhaltungen. Das gehörte sich wohl für ein Mädchen ihres Alters, sich so mit ihrem Vater und ihrer Mutter zu berauschen, Trunkenbolden, die man eines Morgens tot auffinden würde, erschlagen vom Calvados! Die Kleine hörte ihr mit trüben Augen zu und schien sogleich einzuschlafen. Als sie verbunden war, stammelte sie:
    »Papa klagt über Schmerzen, ich würde ihn einreiben, wenn Sie mir ein wenig Branntwein mit Kampfer geben wollten.«
    Pauline und Chanteau konnten sich nicht enthalten zu lachen.
    »Nein, ich weiß, wohin mein Branntwein wandern würde! Ich will dir gern ein Brot geben, auch wenn ich sicher bin, daß ihr es verkaufen werdet, um das Geld zu versaufen ... Bleib sitzen. Cuche wird dich nach Hause bringen.«
    Der junge Cuche hatte sich nun erhoben. Er war barfuß und nur mit einer alten Hose und einem Hemdfetzen bekleidet, so daß man seine von Dornen zerkratzte, von der Sonne schwarzgebrannte Haut sehen konnte. Jetzt, da seine Mutter entsetzlich heruntergekommen war und die Männer nichts mehr von ihr wissen wollten, durchstreifte er selber die Gegend, um ihr noch Kundschaft zuzuführen. Man begegnete ihm, wenn er sich auf den Landstraßen herumtrieb und mit der Gewandtheit eines Wolfes über Hecken sprang, wie ein Tier lebend, das der Hunger über jegliche Beute herfallen läßt. Es war die letzte Stufe des Elends und der Verworfenheit, eine solche menschliche Verkommenheit, daß Pauline ihn mit Gewissensbissen betrachtete, als hätte sie sich schuldig gefühlt, ein Geschöpf in einer solchen Kloake zu lassen. Doch bei jedem ihrer Versuche, ihn da herauszuziehen, war er aus Haß gegen Arbeit und Knechtschaft stets bereit zu fliehen.
    »Da du wiedergekommen bist«, sagte sie sanft, »hast du also über meine Worte vom letzten Samstag nachgedacht. Ich will einen Rest von guten Gefühlen in den Besuchen sehen, die du mir noch machst ... Du kannst nicht länger ein so schändliches Leben führen, und ich bin nicht mehr reich genug, es ist mir unmöglich, dich zu ernähren, wenn du selbst nichts tust ... Bist du entschlossen, meinen Vorschlag anzunehmen?«
    Seit dem Verlust ihres Vermögens versuchte sie ihrem Geldmangel dadurch abzuhelfen, daß sie bei anderen mildtätigen Personen Teilnahme für ihre Armen weckte. Doktor Cazenove hatte endlich durchgesetzt, daß die Mutter des jungen Cuche ins Hospital von Bayeux aufgenommen würde, und sie selber hatte hundert Francs beiseite gelegt, um den Sohn einzukleiden, für den sie eine Stelle als Streckenarbeiter auf der Linie von Cherbourg gefunden hatte. Während sie sprach, senkte er den Kopf und hörte ihr argwöhnisch zu.
    »Es ist also abgemacht, nicht wahr?« fuhr sie fort. »Du wirst deine Mutter begleiten und dich dann auf deinen Posten begeben.«
    Aber als sie auf ihn zuging, machte er einen Satz nach hinten. Aus seinen gesenkten Augen starrte er sie unverwandt an, er hatte geglaubt, sie wolle ihn bei den Handgelenken fassen.
    »Was ist denn?« fragte sie erstaunt.
    Da murmelte er mit dem unruhigen Ausdruck eines wilden Tieres:
    »Sie werden mich packen, um mich einzusperren. Ich will nicht.«
    Und von nun an war alles vergebens. Er ließ sie reden, schien von ihren guten Gründen überzeugt; allein sowie sie sich rührte, stürzte er zur Tür; und mit einem eigensinnigen Kopfschütteln lehnte er für seine Mutter, lehnte er für sich ab, wollte lieber nichts essen und dafür frei leben.
    »Hinaus mit dir, du Faulenzer!« rief endlich Chanteau entrüstet. »Du bist schön dumm, dich mit einem solchen Taugenichts abzugeben.«
    Paulines Hände zitterten ob der Nutzlosigkeit ihrer Barmherzigkeit, ob ihrer Nächstenliebe, die an diesem freiwilligen Elend zerbrach. Sie machte eine Gebärde verzweifelter Nachsicht.
    »Laß nur, Onkel, sie leiden, und sie müssen doch essen.«
    Und sie rief Cuche wieder zu sich, um ihm wie an den anderen Samstagen ein Brot und vierzig Sous zu geben. Aber er wich noch weiter zurück und sagte schließlich:
    »Legen Sie das auf die Erde und gehen Sie fort ... Ich nehme es mir dann.«
    Sie mußte ihm gehorchen. Er kam vorsichtig näher und ließ sie dabei

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