Die Freude am Leben
wieder daran, sich sorgfältig das Fell zu lecken.
»Oh, sie ist nicht taub!« sagte das junge Mädchen. »Ich glaube nur, ihre Sehkraft läßt nach, was sie nicht hindert, sich wie ein liederliches Frauenzimmer aufzuführen ... Stellen Sie sich vor, es ist kaum eine Woche her, daß man ihr sieben Junge fortgenommen hat. Sie wirft und wirft so viele, es ist nicht zu glauben. Hätte man sie seit sechzehn Jahren alle am Leben gelassen, hätten sie das ganze Dorf aufgefressen ... Nun, am Dienstag war sie wieder verschwunden, und Sie sehen, wie sie sich putzt, sie ist erst heute morgen heimgekommen nach drei Nächten und drei Tagen Herumtreiberei.«
Heiter, ohne verlegen zu sein oder zu erröten, sprach sie von den Liebschaften der Katze. Ein so sauberes Tier, so fein, daß es bei feuchtem Wetter nicht aus dem Hause ging – aber viermal im Jahr wälzte sie sich im Schmutz aller Gossen! Am Abend zuvor hatte sie Minouche mit einem großen Kater auf einer Mauer gesehen, wie sie beide die Luft mit ihren gesträubten Schwänzen fegten; und nach ein paar Ohrfeigen, die sie austauschten, waren sie unter entsetzlichem Miauen beide mitten in eine Pfütze gefallen. Und so war die Katze dieses Mal mit eingerissenem Ohr und schlammbespritztem Rückenfell von ihrem Streifzug heimgekehrt. Im übrigen gab es noch immer keine schlechtere Mutter als sie. Bei jedem Wurf, den man ihr fortnahm, leckte sie sich wie in ihrer Jugend, anscheinend ohne ihre unerschöpfliche Fruchtbarkeit zu ahnen, und holte sich sogleich wieder eine neue Bauchladung.
»Wenigstens ist sie auf Sauberkeit bedacht«, schloß Abbé Horteur, der Minouche sah, wie sie beim Putzen schier ihre Zunge abnutzte. »So viele lose Frauenzimmer waschen sich nicht einmal!«
Chanteau, der ebenfalls zu der Katze hinschaute, seufzte lauter, mit jenem ständigen, unwillkürlichen Klagelaut, dessen er sich selber nicht mehr bewußt war.
»Sie leiden wohl wieder mehr?« fragte ihn der Arzt.
»Wie? Warum?« fragte er, wie aus dem Schlaf auffahrend. »Ach, weil ich so laut atme ... Ja, ich leide sehr heute abend. Ich glaubte, die Sonne würde mir guttun, aber ich ersticke trotzdem, mir brennen alle Gelenke.«
Cazenove untersuchte seine Hände. Allen schauderte es beim Anblick dieser armen verunstalteten Stümpfe. Der Priester gab noch eine sinnreiche Betrachtung von sich.
»Solche Finger sind nicht gerade bequem zum Damespielen ... Das ist eine Zerstreuung, die Ihnen jetzt fehlt.«
»Seien Sie vernünftig mit dem Essen«, empfahl der Arzt. »Der Ellbogen ist recht entzündet, die Geschwürbildung nimmt mehr und mehr zu.«
»Was soll ich denn noch tun, um vernünftig zu sein?« stöhnte Chanteau verzweifelt. »Man bemißt mir den Wein, man wiegt mir das Fleisch ab, soll ich denn gar keine Nahrung mehr zu mir nehmen? Wahrhaftig, das ist kein Leben mehr. Wenn ich noch allein essen könnte! Aber wie soll ich das, mit solchen Apparaten an den Armen? Pauline, die mich füttert, ist doch ganz sicher, daß ich nicht zuviel zu mir nehme.«
Das junge Mädchen lächelte.
»Doch, doch, du hast gestern zuviel gegessen ... Es ist meine Schuld, ich kann mich nicht widersetzen, wenn ich sehe, daß deine Eßlust dich so unglücklich macht.«
Da gaben sich alle den Anschein, als erheiterten sie sich und als neckten sie ihn ob der Gelage, die er noch veranstaltete. Doch ihre Stimmen zitterten vor Mitleid angesichts dieses Überbleibsels von einem Menschen, dieser bewegungslosen Masse, die gerade noch genug Leben hatte, um zu leiden. Er war in seine Lage zurückgesunken, den Körper nach rechts verbogen, die Hände auf den Knien.
»Heute abend zum Beispiel«, fuhr Pauline fort, »haben wir eine Ente am Spieß ...« Aber sie unterbrach sich und fragte: »Dabei fällt mir ein, sind Sie nicht vielleicht Véronique begegnet, als Sie durch Verchemont fuhren?«
Und sie erzählte von dem Verschwinden der Magd. Weder Lazare noch der Arzt hatten sie erblickt. Man wunderte sich über die Schrullen dieses Mädchens, man scherzte schließlich darüber: Es müsse komisch sein, wenn man bei ihrer Heimkehr schon bei Tisch säße und ihr Gesicht sähe.
»Ich ziehe mich jetzt zurück, denn ich habe Küchendienst«, fuhr Pauline fröhlich fort. »Wenn ich das Ragout anbrennen lasse oder die Ente nicht genügend durchgebraten auftrage, kündigt mein Onkel mir!«
Abbé Horteur lachte ein breites Lachen, und sogar Doktor Cazenove war über diese Bemerkung belustigt, als sich das Fenster im ersten Stock mit
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